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Massaker

„Man kann eigentlich nur schweigen“

Wasserburg / Lesedauer: 4 min

Der Wasserburger Peter Schneider hat zwei Wochen lang ehemalige Ghetto-Insassen betreut - Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen
Veröffentlicht:19.01.2014, 18:45

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Seit Jahren engagieren sich Wilburg und Peter Schneider aus Wasserburg für das Maximilian-Kolbe-Werk. Peter Schneider war zwei Wochen lang in Transnistrien, dem Osten von Moldawien , um ehemalige Ghetto-Insassen zu betreuen. Hildegard Nagler hat mit ihm gesprochen.

Herr Schneider, Sie haben einen ungewöhnlichen Einsatz hinter sich. Wie sind Sie dazu gekommen?

Meine Frau und ich hatten gerade einen so genannten Begegnungsaufenthalt von sechs tschechischen Zeitzeuginnen hier am Bodensee durchgeführt, und wir hofften darauf, uns von den Strapazen dieser auch für uns anstrengenden 14 Tage etwas zu erholen, da kam ein Anruf vom Maximilian-Kolbe-Werk, dass man dringend noch einen Begleiter für einen Kuraufenthalt in Moldawien suche. Nach einer kurzen Rücksprache mit meiner Frau habe ich dann zugesagt.

Was genau war Ihre Aufgabe?

Zusammen mit einer weiteren ehrenamtlichen Mitarbeiterin sollte ich eine Kur von 18 vorwiegend ehemaligen Ghettobewohnern begleiten. Das heißt, dass man sich für diese Gäste des Maximilian-Kolbe-Werkes in der Weise kümmert, dass sie einen beschwerdefreien, erfolgreichen Kuraufenthalt erleben. Wir beobachten, wie sie die Kuranwendungen vertragen, organisieren Treffen und Ausflüge. Wir sind die ganze Zeit unmittelbare Ansprechpartner.

Wie ging es den alten Menschen, die Sie betreut haben?

Unterschiedlich. Die Gäste waren vergleichsweise noch jung, das heißt wir hatten Geburtsjahrgänge zwischen 1928 und 1942. Zum Teil waren sie noch rüstig, andere haben uns gebeten, dass das Maximilian-Kolbe-Werk ihnen zum Beispiel für teure Medikamente Zuschüsse gibt. Da in dem Sanatorium ‚Dnestr‘ in Kamenka, wo wir waren, W-lan zur Verfügung stand, konnten wir solche Anliegen gleich weitergeben und haben dann bei Zustimmung Beihilfen gezahlt.

Wie haben Sie sich verständigt? Haben die ehemaligen Ghetto-Insassen viel aus der schlimmen Zeit erzählt?

Wir haben uns mit der Gruppe insgesamt fünfmal jeweils eine gute Stunde bei Gebäck, Saft, Wein und natürlich Wodka getroffen. Bei diesen Treffen haben unsere Gäste bereitwillig von ihren Erlebnissen der Kriegszeit berichtet. Die Gespräche sind von mir dokumentiert worden und befinden sich im Archiv unseres Werkes. Sie haben von Hunger und Angst berichtet, von Misshandlungen, vorwiegend verübt von Rumänen, die beim Kriegseintritt gegen die Sowjetunion hier in der Gegend das Sagen hatten. Es war immer die Frage des Warum im Raume.

Gab es ein Ereignis, das Sie besonders berührt hat?

Es fällt schwer, hier etwas auszuwählen, berührt hat mich alles. Man kann eigentlich nur schweigen, zum Beispiel, wenn ein alter Mann weint und erzählt, dass man seinen Vater sechs Tage vor Kriegsende weggeführt habe und dann erschossen hat, oder wenn ein anderer erzählt, dass seine Mutter verhungert ist. Aber auch die Angst jetzt, in Moldawien, vor dem überbordendem rumänisch gesinntem Nationalismus, der in Antisemitismus mündet. Das was heute in Moldawien mit den Juden geschieht, ist Hohn und Schande, hat man uns berichtet. In Rumänien, dem Land, das sich Moldawien gern anschließen möchte, werden schon wieder Antonesco-Denkmäler geplant, für Antonesco, unter dessen Regierung hunderttausende Juden durch von der rumänischen Armee verübte Massaker und ethnische Säuberungen oder in Arbeitslagern dem Holocaust zum Opfer gefallen sind.

Sie engagieren sich schon seit Jahren ehrenamtlich für das Maximilian-Kolbe-Werk. Warum?

Meine Frau hat vor etwa 15 Jahren mit der ehrenamtlichen Arbeit im Maximilian-Kolbe-Werk begonnen und hat mehrere Hilfsgütertransporte in die ehemalige Sowjetunion begleitet, im Maximilian-Kolbe-Werk, das ja eine humanitäre Hilfsorganisation ist, die Hilfe für die Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager und Ghettos seit nunmehr 40 Jahren leistet. Ich war damals beruflich stark gebunden und habe erst später angefangen. Wir haben dann zusammen immer wieder Zeitzeugenaufenthalte für Schulen organisiert, waren viermal in Polen und haben mit Erna Müller aus Wasserburg Kranke besucht, haben fünfmal Begegnungsaufenthalte für tschechische Juden am Bodensee veranstaltet und haben auch schon einmal eine Kur in Marienbad begleitet. Es ist einmal ein Abenteuer, ausgesprochen interessanten Menschen zu begegnen, zum anderen fühlen wir uns als Deutsche verpflichtet, den Menschen, die man gedemütigt hat und deren Eltern, Kinder und Freunde von Deutschen ermordet wurden, das Gefühl zu geben, dass sich etwas geändert hat bei uns. Es fällt uns doch leicht, um Verzeihung zu bitten, angesichts der geschehenen Gräuel. Wir empfinden dann Freude, wenn man uns unvoreingenommen begegnet, wenn wir trotz allem, was geschehen ist, akzeptiert werden. Mit einem Teil der Menschen, denen wir begegnet sind, stehen wir heute noch in Kontakt. Es ist uns viel wert, solche Freunde zu gewinnen.