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Letzte Hoffnung Familie

Madrid / Lesedauer: 3 min

Spaniens Arme haben vom Staat nichts zu erwarten – Rentner schleppen Kinder und Enkel durch
Veröffentlicht:21.06.2013, 20:30

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„Wir können nicht tatenlos zusehen“, sagt die 65-jährige Spanierin Pilar Goytre. Sie demonstriert gerade mit anderen Pensionären im Zentrum der spanischen Hauptstadt Madrid gegen die harten Einschnitte bei den sozialen Leistungen. Die ohnehin schon nicht üppigen staatlichen Hilfen für Arme, Arbeitslose, junge Leute, Familien und Alte sind in der Schuldenkrise des Staates immer weiter zusammengestrichen worden.

Die Rentner, die sich in der Bewegung „Yayoflautas“ (Opa-Flöten) organisiert haben, verlesen ein Protestmanifest: „Wir sind auf dem Wege, alles zu verlieren, was wir bisher erreicht haben.“ Adiós sozialer Fortschritt und Gerechtigkeit. Überall werde in Spanien die Schere angesetzt.

Mehr als 27 Prozent der aktiven Bevölkerung, annähernd sechs Millionen Menschen, sind in Spanien inzwischen arbeitslos. Bei den unter 25-jährigen stehen sogar 57 Prozent auf der Straße. Rund die Hälfte der spanischen Arbeitslosen bekommt keine staatliche Unterstützung, weil sie entweder noch keine Ansprüche erworben haben (wie die Berufsanfänger) oder die Stütze ausgelaufen ist.

Die Rentnergeneration bildet heute wohl das wichtigste soziale Netz in Spanien, wo es kaum noch Hilfen vom Staat gibt. Dabei sind die spanischen Pensionäre bei einer monatlichen Durchschnittsrente von 835 Euro auch nicht gerade auf Rosen gebettet.

Hunderttausende Senioren machen sich in diesen schwierigen Zeiten als Babysitter um ihre Enkel verdient. Und sie rücken zusammen und nehmen ihre erwachsenen Kinder samt Enkel wieder zu Hause auf, weil diese ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen können. Viele spanische Alte bringen inzwischen mit ihrem Ruhegehalt ganze Großfamilien durch.

Spaniens Rot-Kreuz-Chef Antoni Bruel spricht von einem „sozialen Notstand“, der sich weiter zuspitze. Es gebe immer mehr Bedürftige, „aber es gibt nicht mehr Hilfe“. Von der staatlichen Fürsorge haben Spanier wenig zu erwarten: Sozialhilfe – theoretisch etwa 350 Euro für den Haushaltsvorstand, rund 100 Euro für den Partner – wird angesichts leerer Kassen und einer Antragswelle frühestens nach halbjähriger Wartezeit gewährt – oder auch gar nicht. Und zum Überleben reicht es ohnehin kaum. Jede vierte Familie gilt laut Eurostat inzwischen als arm, annähernd zwölf Millionen Menschen sind betroffen.

Die Suppenküchen der Kirchen und sozialen Bewegungen in Madrid, Barcelona und anderen Großstädten kommen schon lange nicht mehr mit der Armenspeisung nach. Deswegen formieren sich inzwischen auch Bürgerinitiativen, welche abseits der offiziellen Hilfspfade versuchen, Essbares für die Armen zu organisieren: Sie bitten Großhändler und Gastwirte um Spenden, organisieren Sammelaktionen in der Nachbarschaft.

Immerhin funktionieren diese Nachbarschaftshilfe und Familiensolidarität noch im wankenden Spanien: Die Menschen haben hier traditionell schon immer mehr zusammengehalten, als man das aus nordeuropäischen Ländern kennt. „Viele Leute überleben heute nur dank der Hilfen ihrer Familie“, berichtet ein Sprecher des spanischen Roten Kreuzes.

„Den Bankern wird das Geld in den Hintern geschoben, und die kleinen Leute müssen sehen, wie sie klarkommen“, empören sich Pilar Goytre und ihre rebellischen „Yayoflautas“. Die Rentner haben wenig Verständnis für jene milliardenschweren Hilfen, mit denen der spanische Staat und auch die EU marode spanische Banken vor der Pleite bewahren. „Und wer hilft uns? Auch die Familien müssen gerettet werden.“