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Kein einig Land: Wie der Brexit den Zusammenhalt in Großbritannien auf die Probe stellt

London / Lesedauer: 3 min

Der Brexit stellt den Zusammenhalt des Vereinigten Königreiches auf die Probe
Veröffentlicht:01.02.2020, 06:00

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Diesen Satz ließ der britische Premierminister Boris Johnson bei keiner Gelegenheit aus: „Wir verlassen die EU als einiges Land.“ Natürlich handelte es sich dabei um keine Zustandsbeschreibung, sondern um eine Beschwörungsformel. Denn die Uneinigkeit ist offensichtlich: Sämtliche drei Regionalparlamente von Schottland, Nordirland und Wales haben dem Austrittsgesetz der konservativen Regierung die Zustimmung verweigert. Schon setzen Brexit-Gegner ihre Hoffnung auf bevorstehende Verfassungskrisen.

Klar angekündigt hat dies die schottische Regierung unter Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon . Beim Referendum über die Unabhängigkeit 2014 war die gemeinsame Mitgliedschaft des Landes in der EU ein Hauptargument der Unionisten; am Ende votierten die Schotten mit 55:45 Prozent für den Verbleib bei London. Dass sie zwei Jahre später mit einer deutlicheren Mehrheit von 62:38 Prozent auch für die fortdauernde Mitgliedschaft im Brüsseler Club stimmten und nun gegen ihren Wunsch der Brexit doch gekommen ist, nutzen die Nationalpartei SNP und ihre Chefin Sturgeon nun für ihre wiederkehrende Forderung: Gebt uns ein zweites Votum für die Unabhängigkeit.

Die Wähler scheinen den Freiheitskämpfern Recht zu geben. Bei der Unterhauswahl konnte die SNP 48 der 59 schottischen Sitze abräumen, in einer am Donnerstag veröffentlichten YouGov-Umfrage hatte sich erstmals seit 2015 eine knappe Mehrheit der befragten Schotten für die Auflösung der 1707 geschlossenen Union mit England ausgesprochen. Bei der Wahl zum Edinburgher Regionalparlament im Mai nächsten Jahres kann sich Sturgeon berechtigte Hoffnung auf ein gutes Abschneiden von SNP und Grünen machen, die ebenfalls die Abspaltung befürworten. Hingegen sind die Regionalgliederungen der gesamtbritischen Unionistenparteien Labour, Konservative und Liberaldemokraten in jämmerlichem Zustand; die charismatische Tory-Chefin Ruth Davidson, die große Hoffnung der Einheitsfreunde, hat vor Johnsons harter Brexit-Politik die Flucht ins Privatleben angetreten.

Johnson lehnt Referendum ab

Sturgeons Forderung nach einem erneuten Referendum hat der britische Premier kühl abgelehnt, mehr noch: Hinter vorgehaltener Hand suggeriert die Londoner Regierung, man werde auch nach der Wahl im kommenden Jahr hart bleiben. Drei Faktoren geben dem Regierungschef Hoffnung: Vor der Volksabstimmung 2014 sprachen die Nationalisten von einer „Entscheidung für eine Generation“, also mindestens 20 Jahre. Zudem muss sich die damalige Galionsfigur der Unabhängigkeitsbewegung, Ex-Ministerpräsident Alex Salmond, von März an wegen diverser Sexualdelikte im Amt vor Gericht verantworten. Und egal, wie der Prozess ausgeht: Die mutmaßlich unerfreulichen Details dürften das Image der extrem diszipliniert auftretenden SNP erheblich beschädigen. Der dritte Faktor wiegt am schwersten: Nach fast 13 Jahren im Amt wird die Regionalregierung zunehmend von Problemen eingeholt. Die früher als vorbildlich geltenden schottischen Schulen erzielen nur noch vergleichsweise mittelmäßige Ergebnisse, das Haushaltsdefizit liegt bei sieben Prozent und damit weit über dem Maastricht-Kriterium der EU, das Gesundheitssystem wird von Skandalen geschüttelt.

In der zweiten Anti-Brexit-Region Nordirland – dort waren 56 Prozent für den EU-Verbleib – haben Johnson und sein zuständiger Minister Julian Smith kürzlich eine Atempause erhalten: Nach drei Jahren rauften sich die Partnerinnen der protestantisch-unionistischen und der katholisch-nationalistischen Strömungen für eine neue Allparteien-Regierung in Belfast zusammen. Die beiden jeweils tonangebenden Parteien, DUP unter Arlene Foster und Sinn Féin unter Michelle O‘Neill, hatten bei der Unterhauswahl schmerzhafte Einbußen erlitten, was ihre Kompromissbereitschaft ebenso erhöhte wie eine neuerliche Milliardensubvention aus London für die strukturschwache Region. Dadurch sind die Träume von einer baldigen Abstimmung über die irische Wiedervereinigung einstweilen vom Tisch. Allerdings könnte sich dies schnell ändern, wenn die Brexit-Realität nicht hält, was Johnson verspricht, nämlich eine weiterhin reibungslose Grenze zur Republik im Süden der grünen Insel.