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In Großbritannien könnten Lebensmittel, Medikamente und Benzin knapp werden

London / Lesedauer: 3 min

Laut Bericht der britischen Regierung werden bei einem No-Deal-Brexit auch Medikamente und Benzin knapp
Veröffentlicht:20.08.2019, 06:00

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Lastwagen-Schlangen an den Häfen des Ärmelkanals, Verknappung von Medikamenten und Lebensmitteln, Zwangsschließung von Raffinerien, Proteste an der inneririschen Grenze – ein internes Dokument der britischen Regierung unter Premier Boris Johnson skizziert ein düsteres Bild für die Zeit nach dem möglichen Chaos-Brexit Ende Oktober. Der Regierungschef will diese Woche erstmals bei den engsten Verbündeten für eine Austrittsvereinbarung werben, ehe er am Rande des G7-Gipfels im französischen Biarritz mit US-Präsident Donald Trump zusammentrifft.

Das Dossier mit dem Titel „Operation Goldammer“ (yellowhammer) stammt aus dem Kabinettsbüro, das seit Johnsons Amtsübernahme vor knapp vier Wochen federführend für die Brexit-Planung zuständig ist. Der verantwortliche Minister Michael Gove zog die Echtheit der in der „Sunday Times“ veröffentlichten Auszüge nicht in Zweifel, sprach aber von einem „Worst Case“-Szenario. Genau dies bestreiten die anonymen Quellen der als konservativ geltenden Sonntagszeitung: Es handele sich um „wahrscheinliche und plausible“ Annahmen.

Planungen für den EU-Austritt Großbritanniens ohne Anschlussvereinbarung (No Deal) gibt es bereits seit 2018, als die damalige Regierung von Theresa May noch den geordneten Austritt aus der EU verfolgte. Im vergangenen Winter war von der Rekrutierung von zusätzlichen 5000 Beamten die Rede, um die Notfallpläne umzusetzen. Weil das mit Brüssel vereinbarte Austrittspaket dreimal im Unterhaus scheiterte, setzt der neue Premier völlig auf No Deal. Einwände von Parteifreunden, darunter hochkarätige frühere Kabinettsminister, wischte der Regierungschef am Wochenende wütend vom Tisch: London müsse den EU-Partnern glaubwürdig den Eindruck vermitteln, das Land sei zum chaotischen Austritt bereit.

Die Glaubwürdigkeit dieses Vorgehens kann Johnson diese Woche bei Besuchen in Paris und Berlin testen. Dort will der Premierminister keine neuen Ideen vorlegen, sondern Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel nachdrücklich auf die negativen Auswirkungen hinweisen, die der No Deal für das EU-Mitglied Irland hätte. Tatsächlich steht der grünen Insel ein massiver wirtschaftlicher Schock bevor, zudem drohen Unruhen an der bisher offenen Grenze zu Nordirland. Hinter vorgehaltener Hand sagen Verantwortliche im Londoner Regierungsviertel Whitehall, Irlands zukünftige Lage wäre desaströs.

Die Antrittsbesuche bei den engsten europäischen Verbündeten kommen ungewöhnlich spät. Vergangenen Monat hatten Johnsons Berater noch damit geprahlt, der neue Premier werde Paris und Berlin, geschweige denn Brüssel , erst besuchen, wenn die EU den Briten ein weiteres Angebot vorlege. Insbesondere müsse die Auffanglösung für Nordirland, der sogenannte Backstop, aus dem Vertragstext gelöscht werden. Auf dem Kontinent sowie in der irischen Hauptstadt Dublin beharrt man hingegen auf dem Backstop, der auch zukünftig die offene innerirische Grenze garantieren würde. Eine Umfrage unter der nordirischen Bevölkerung ergab am Wochenende eine klare Mehrheit (58:42 Prozent) für den Backstop.

Britisches Pfund unter Druck

Ungünstig für Großbritannien ist dem Kabinettsdossier zufolge schon der geplante Austrittstermin am Donnerstag, 31. Oktober. Anders als in einigen katholischen Ländern Europas ist Allerheiligen auf der Insel kein Feiertag; die vorhergesagten Probleme würden also den Börsenhandel am wichtigsten internationalen Finanzplatz der Welt beeinflussen und einen Pfundsturz herbeiführen. Die britische Währung hat in den vergangenen Monaten bereits deutlich an Wert verloren.

Aus dem Parlament sieht sich Johnson mit einer neuen Forderung konfrontiert: Mehr als 100 Abgeordnete plädieren für die vorzeitige Beendigung der Parlamentsferien, die planmäßig noch bis 3. September dauern. Diskutieren wollen die Parlamentarier nicht nur über den „verstörenden Populismus“ des neuen Regierungschefs, sondern auch über seine Verweigerung neuer Verhandlungen mit Brüssel. Dies raube dem Land die Chance, die EU doch noch mit einer Vereinbarung zu verlassen.