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Politik / Lesedauer: 4 min

300 000 Kilometer fliegt Frank-Walter Steinmeier im Jahr – Auf Asienreise mit dem Bundesaußenminister
Veröffentlicht:15.04.2016, 18:20

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Gleich hinter der Werkspforte steht ein Festzelt. „Bosch“ ist rot darauf gedruckt. Drinnen warten Models in roten Kleidern, blicken freundlich und auch ein bisschen gleichgültig. Am Fenster gleich neben der Pforte stehen Arbeiter, sie fotografieren mit ihren  Handys alle, die ins Festzelt streben, deutsche Minister, Personenschützer und Ministerialbeamte. Woher sollen die Chinesen denn auch wissen, wer von den ins Festzelt hastenden Langnasen die wichtigste ist?

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist in Zentralchina unterwegs. Er will die neue Produktionshalle 101 der Firma Bosch in Changsha einweihen. Am Tag zuvor hat er mit dem Außenminister in Peking über den Kampf gegen den Terrorismus gesprochen, am Morgen ist er mit seiner Delegation in nebligen Bambuswäldern im Heimifeng-Park gewandert, ein Tag darauf wird er in Hiroshima beim Treffen der G7-Außenminister erwartet. 300 000 Kilometer fliegt er im Jahr.

Wo Mao zum Kommunisten wurde

Jetzt also Changsha , eine nach chinesischen Maßstäben eher kleine Stadt. Gerade einmal sieben Millionen Menschen leben am Xiangjiang-Fluss, etwas mehr als die Bevölkerung der Schweiz. Vor 100 Jahren wohnte ein gewisser Mao Tse-Tung in der Stadt, die Historiker sagen, hier sei Mao zum Kommunisten geworden. Danach kamen der Befreiungskrieg, die Revolution, Millionen Tote. Heute regiert in Changsha immer noch die Kommunistische Partei des Großen Vorsitzenden Mao. Aber Bosch produziert elektrische Motoren für Scheibenheber und Schiebedächer. Eine Milliarde Euro Umsatz melden die Werksleiter pro Jahr in die Zentrale.

Im Festzelt ertönt ein lauter Marsch, von der Bühne bellt ein Moderator die Namen der stellvertretenden Bürgermeisterin und des stellvertretenden Gouverneurs ins Mikrofon. Applaus vom Publikum und den Models.  Dann schallt wieder eine Fanfare aus den Lautsprechern, der Mann auf der Bühne kündigt mit stolzgeschwellter Brust den stellvertretenden Außenminister der Bundesrepublik Deutschland an. Frank-Walter Steinmeier lässt sich den Fehler nicht anmerken. Der 60-Jährige lächelt und hält eine Rede, in der das chinesische Sprichwort vorkommt, dass jede lange Reise mit einem ersten Schritt zu beginnen habe. Das gefällt den Chinesen. Steinmeier geht nicht, wie manch anderer Politiker, offensiv auf die Leute zu und inszeniert ein Gespräch in der Werkshalle oder auf der Straße für die Fotografen. Aber er öffnet Menschen durch Offenheit, sei das der stocksteife chinesische Außenminister in Peking oder der Vizegouverneur von Hiroshima, der ihn beim G-7-Treffen am Flughafen begrüßt. Steinmeier schaut freundlich aus braunen Augen durch dicke Brillengläser. Immer, wenn er zu einem Foto eingeladen wird, klickt der Jurist ein Dauerlächeln an, das, obwohl auf Knopfdruck hervorgeholt, nie zur Maske zu werden scheint.

Die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes am Werderschen Markt in Berlin freuten sich 2013, zu Beginn der Großen Koalition, über Steinmeiers Rückkehr. In der Popularitätsliste steht er, auch wenn das im Moment leichter fällt als vor der Flüchtlingskrise, weit vor seiner Chefin, der Bundeskanzlerin. Selbst in der CDU ist mancher darum bemüht, Nähe zu Steinmeier zu signalisieren: Das sei ein ganz Feiner, sagt ein CDU-MdB, und er duze sich sogar mit ihm.

Der Sohn aus bodenständigem Hause, der Vater war Tischler, die Mutter Arbeiterin, steht beim Wähler für Verlässlichkeit. Manchmal betreibt auch er Effekthascherei, so wie im Wahlkampf in Baden-Württemberg, als er den Ludwigsburgern erklärte, dass er nun häufiger an den Krisenorten der Welt sein müsse als in ihrer schönen Stadt.

Steinmeier ist einer der letzten SPD-Politiker, der den Genossen das Gefühl vermitteln kann, dass die Partei noch wichtig ist: Steinmeier bei US-Außenminister Kerry, Steinmeier mit Irans Präsident, Steinmeier bei Putin – solche Bilder sind Balsam für die geschundene sozialdemokratische Seele.

Vielleicht ist das Geheimnis seiner Diplomatie, dass er sein Gegenüber aufschließt, ihm hilft, das Gesicht zu wahren, wenn es schwierig wird. Der chinesische Außenminister Wang Yi ist ein verbissen dreinschauender Mann, den nach einer Schnellumfrage noch niemand hat jemals lächeln sehen. Sein deutscher Gesprächspartner bringt aber das Kunststück fertig, ihn geschmeidiger zu machen: Er erinnert ihn beim Gespräch im Pekinger Außenministerium, mit den dicken Teppichen und Toiletten wie im Fünf-Sterne-Hotel, an ihre letzte Begegnung: Im Dezember seien sie über den Weihnachtsmarkt am Berliner Gendarmenmarkt geschlendert und hätten Glühwein getrunken. Die Welt sei seither nicht einfacher geworden. Über Wang Yias Gesicht huscht der Anflug eines Lächelns.