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Triumph

Im Triumph spricht Johnson von Demut

London / Lesedauer: 4 min

Premierminister will „ohne Wenn und Aber“ den EU-Austritt Ende Januar vollziehen
Veröffentlicht:13.12.2019, 21:07

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In der Stunde seines größten Triumphs gab sich der Premierminister Ihrer britannischen Majestät ganz bescheiden. Am Freitag wandte sich Boris Johnson über die Köpfe seiner konservativen Aktivisten hinweg an die Nation, besonders an jene, die zum ersten Mal konservativ gewählt hatten. „Vielleicht hat Ihre Hand gezittert, ehe Sie Ihr Kreuz machten, vielleicht wollen Sie beim nächsten Mal wieder für Labour stimmen“, sprach Johnson die Menschen in Dutzenden von Wahlkreisen an, die sich zum ersten Mal seit Menschengedenken der Arbeiterpartei verweigert hatten. „Wir stehen demütig vor dem Vertrauen, das Sie uns geschenkt haben.“

Tags zuvor war ein politischer Sturm durchs Vereinigte Königreich gefegt. Wie von Johnson erhofft, gaben die Briten dem Tory-Vorsitzenden bei der ersten Adventswahl seit 1923 ein klares Mandat für den EU-Austritt Ende Januar und für die fünf Jahre dauernde Legislaturperiode. Mit 43,6 Prozent der abgegebenen Stimmen ließen die Konservativen die Oppositionspartei Labour (32,2) unter Jeremy Corbyn und die Liberaldemokraten (11,5) weit hinter sich. Das Mehrheitswahlrecht brachte zum ersten Mal seit 2005 eindeutige Verhältnisse: 364 Konservativen sitzen zukünftig im Unterhaus lediglich 203 Labour-Vertreter und elf Lib-Dems sowie einzelne Vertreter kleinerer Parteien gegenüber. Die liberale Parteichefin Joanne Swinson verlor sogar ihr Mandat im schottischen Bezirk Dunbartonshire. Sie wurde ein Opfer des starken Abschneidens der Nationalpartei SNP, die mit 48Mandataren drittstärkste Kraft in London sein wird.

Johnsons Auftritt zur Morgenstunde rief ganz bewusst Erinnerungen wach an den ersten Erdrutschsieg des langjährigen Labour-Premiers Tony Blair (1997–2007). Wie der Sozialdemokrat damals sprach Johnson von einem „neuen Sonnenaufgang“, wie Blair betonte er seine Verbeugung vor dem Volkswillen, ausgedrückt im EU-Referendum vor dreieinhalb Jahren. Der Brexit sei nun die „unwiderlegbare, unaufhaltsame, unbestreitbare Entscheidung des britischen Volkes“, betonte der gelernte Journalist. Sein PR-Team hatte ein Übriges getan: An Johnsons Rednerpodium prangten die Wörter „The People’s Government“, zu Deutsch: Regierung des Volkes.

Was wohl eine Anspielung auf eine althergebrachte Tradition der „One Nation Tories“, also einer Partei für die ganze Nation, sein sollte, klang verdächtig nach autoritären Demokratien wie Ungarn und Polen. Diese Variante des Boris Johnson, dünnhäutig, despotisch, war im Wahlkampf mehrfach zum Vorschein gekommen: Als der Regierungschef dem Chef-Interviewer der BBC ein Interview verweigerte und anschließend darüber sinnierte, ob die Rundfunkgebühr eigentlich noch zeitgemäß sei; als er einen islamistischen Terroranschlag sogleich zu einem Angriff auf die angeblich zu laxe Sicherheitspolitik der früheren Labour-Regierung nutzte; nicht zuletzt auch im konservativen Wahlprogramm, das dem Supreme Court im Rahmen einer „Verfassungsdebatte“ eine Beschneidung seiner Kompetenzen androht. Die Höchstrichter waren Johnson im September in den Arm gefallen, als dieser das Parlament in die Zwangspause schicken wollte, um den Chaos-Brexit umzusetzen.

Den EU-Austrittsvertrag wird der wiedergewählte Premier noch vor Weihnachten im Parlament einbringen, den Termin 31. Januar werde er „ohne Wenn und Aber“ einhalten. Mit einer ersten Umbildung seiner Regierung – unter anderem muss die zurückgetretene Kulturministerin Nicola Morgan ersetzt werden – will sich Johnson bis Montag Zeit lassen, einen größeren Umbau soll es im Februar geben. Die Rede ist von der Rückführung des Entwicklungshilfeministeriums ins Auswärtige Amt, zusammengelegt werden könnten auch das Brexit-Ressort und das Wirtschaftsministerium.

Labour leckt die Wunden

Während der 55-Jährige seine nächsten Schritte plant, tobt bei Labour die Diskussion über das schlechte Abschneiden bei der Wahl und die Nachfolge des einstigen Hoffnungsträgers Corbyn. Er werde während einer Phase der Reflektion im Amt bleiben und nach der Wahl eines Nachfolgers zurücktreten, beteuerte der 70-Jährige. Johnson habe den Urnengang erfolgreich zu einer Brexit-Wahl gemacht, die eigentlich populären Labour-Vorschläge hätten in der Diskussion keine Rolle gespielt. Offenbar will die Parteilinke mit ihrer Verzögerungstaktik sicherstellen, dass ein Corbyn-Anhänger, etwa die wirtschaftspolitische Sprecherin Rebecca Long-Bailey, dem Vorsitzenden nachfolgt. Dieser musste sich für die geringste Mandatszahl seit 1935 harsche Kritik prominenter Parteifreunde anhören.

Dass das endgültige Ergebnis der Wahl bis zum späten Freitagnachmittag noch nicht feststand, lag an einem echten Sturm. Weil dieser um die Scilly-Inseln vor der Westspitze von Cornwall tobte, konnten die dortigen Urnen nicht ins Wahlzentrum von St. Ives gebracht werden.