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Hart, weich oder Chaos-Brexit: Was nach dem Austritt der Briten aus der EU kommt

London / Lesedauer: 4 min

Drei Szenarien zum britischen EU-Austritt und die Folgen, die sie für das Land hätten
Veröffentlicht:17.10.2018, 19:58

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Seit Mittwochabend ringen in Brüssel Vertreter der Europäischen Union und Großbritannien weiter um ein Abkommen, das den Austritt der Briten aus der Europäischen Union regelt – und die künftigen Beziehungen zwischen den 27verbliebenen Mitgliedern und dem Vereinigten Königreich. Aber was passiert eigentlich am 30. März 2019, am Tag nach dem Brexit? Drei Szenarien.

Harter Brexit:

Nach dem BrexitVotum im Juni 2016 setzte Premierministerin May zunächst auf klare Abgrenzung vom Kontinent, den sogenannten „harten“ oder „sauberen“ Brexit. Er sieht den Austritt der Insel aus Binnenmarkt und Zollunion vor. Auch soll die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs EuGH nicht mehr gelten. „Wir werden zuständig für unsere Grenzen, unsere Gesetze und unser Geld“, so hat dies May zusammengefasst, als sie Ende März 2017 den Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrags binnen zwei Jahren in Gang setzte.

Mit dieser Parole ging sie 2017 in die unnötigerweise vorgezogene Unterhauswahl – und verlor damit die Mehrheit für ihre konservative Partei. Seither hat May ihren harten Kurs mehrfach abgeschwächt. So sollen die zwischen drei und vier Millionen auf der Insel lebenden EU-Bürger doch noch für einige Jahre das Appellationsrecht zum EuGH genießen. Vereinbart wurde mit der EU im vergangenen Dezember außerdem eine Übergangsfrist bis Ende 2020: In dieser Zeit bleibt Großbritannien zahlendes Mitglied mit allen Pflichten, sitzt aber nicht mehr am Brüsseler Konferenztisch.

Ein gewichtiges Problem bei einem harten Brexit: die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland , den sechs Grafschaften im Nordosten der grünen Insel, die zum Vereinigten Königreich gehören. Den jahrzehntelangen Bürgerkrieg dort, mit annähernd 3500 Toten und 47000 Verletzten, hat 1998 das Karfreitagsabkommen beendet. Es sieht die Offenhaltung der rund 300 Kilometer langen Grenze vor. Die ist heutzutage nur noch daran zu erkennen, dass die Schilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung in Irland Kilometer angeben und in Nordirland Meilen. Die im Dezember 2017 vereinbarte Auffang-Lösung (backstop) sieht nun vor: Sollte keine andere Einigung zustande kommen, verbleibt der britische Teil der grünen Insel in der Zollunion und in weiten Teilen im Binnenmarkt der EU.

Weicher Brexit:

Da dies der britischen Provinz auf wirtschaftlichem Gebiet eine ähnliche Sonderrolle wie in der Gesellschaftspolitik (Nordirland kennt weder die legale Abtreibung noch die Ehe für alle) einräumt, verfolgt London neuerdings eine Sonderform des weichen Brexit. Die Rede ist von einem engen „Assoziationsabkommen“ mit der EU. Dabei würde die Insel in einer Freihandelszone für Güter unter einem „gemeinsamen Regelwerk“ bleiben – sprich: den geltenden EU-Direktiven. Bei Dienstleistungen würden die Briten weitgehend eigene Wege gehen. Britische Gerichte sollen auch künftig den EuGH-Entscheidungen „angemessene Aufmerksamkeit“ (due regard) widmen, ohne an sie gebunden zu sein. Um der bisher vereinbarten Auffanglösung zu entgehen, will May bis auf Weiteres das ganze Land in der Zollunion halten. Andernfalls müsste der Handel zwischen der britischen Insel und Nordirland kontrolliert werden, was die pro-britischen nordirischen Unionisten strikt ablehnen. Dieser Handel liegt in der Hand von rund 20 Unternehmen: große Einzelhändler und Energieversorger wie Import-Export-Geschäfte, insbesondere im Agrarsektor. Das Geschäft zwischen Nordirland und der Republik im Süden besteht dagegen vor allem aus Handwerkern, Selbstständigen und Kleinunternehmern. Deren Zahl dürfte bei mehreren Zehntausend liegen.

Viel klarer für einen weichen Brexit positioniert sich die Opposition. Labour wünscht sich „eine“ Zollunion mit der EU und „möglichst enge“ Anbindung an den Binnenmarkt, die schottischen Nationalisten wollen sogar ganz in Binnenmarkt und Zollunion verbleiben.

Chaos-Brexit:

Sollten Brüssel und London sich nicht einigen oder das britische Unterhaus eine abgeschlossene Vereinbarung ablehnen, käme es zum Chaos-Brexit – also dem ungeordneten Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Davor warnt die Industrie mit zunehmend schrillen Tönen. Papiere beider Seiten legen nahe: Nicht nur würde der Luftverkehr zwischen Kontinent und Insel behindert oder lahmgelegt, es käme auch binnen weniger Tage oder Wochen zu Versorgungsschwierigkeiten bei Lebensmitteln und Medikamenten. Große Unternehmen wie BMW haben bereits für April 2019 eine Produktionspause anberaumt, weil die Versorgung mit Zulieferprodukten für den Automobilbau nicht gewährleistet wäre.