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Asylantrag

Griechenland vermisst Europas Hilfe

Athen / Lesedauer: 4 min

Athen zählt weniger Flüchtlinge, aber mehr Asylanträge – Regierung fürchtet nationale Alleingänge in der EU
Veröffentlicht:22.06.2018, 20:16

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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will Deutschlands Grenzen schließen für Flüchtlinge, die schon in anderen EU-Staaten registriert sind. Er will sie dorthin zurückschicken. Was hält man von solchen Plänen in Griechenland , wo viele Flüchtlinge die EU betreten und registriert werden? Das hörten sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Landtagsabgeordnete diese Woche in Athen an.

Mitten in der Debatte um Seehofers Migrationsplan reisten die Abgeordneten in jenes Land, das 2015 und 2016 zum Tor nach Europa für mindestens eine Million Menschen wurde. Die große Mehrheit zog damals weiter über die Balkanstaaten nach Norden. Laut EU-Recht müssen Flüchtlinge ihren Asylantrag dort stellen, wo sie die EU betreten. Doch damals war das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Griechenland überfordert und ließ alle ohne Registrierung passieren.

Weniger Neuankömmlinge

Das gelingt mit EU-Hilfe heute wesentlich besser. 2017 gelangten täglich bis zu 5000 Menschen ins Land, heute sind es zwischen 80 und 100. Anders als in den Vorjahren ziehen sie nicht weiter, sondern beantragten mehrheitlich Asyl. Zwar wollen die allermeisten immer noch weiter, besonders nach Deutschland. Doch es ist wesentlich schwieriger geworden, von Behörden unentdeckt weiterzuziehen.

Dass es weniger Ankünfte, aber mehr Asylanträge in Griechenland gibt, hat zwei Gründe. Die Balkanstaaten haben 2016 ihre Grenzen zu Griechenland für Flüchtlinge geschlossen. Außerdem einigten sich EU und Türkei 2016 auf einen Pakt. Die Türkei stoppt Boote, die von der Küste in Richtung Griechenland aufbrechen. Das funktioniert offenbar. Die Türkei bekommt Geld von der EU, um sich auf dem eigenen Staatsgebiet um Flüchtlinge zu kümmern. Im Gegenzug hat sich Präsident Recep Tayyip Erdogan verpflichtet, Flüchtlinge aus Griechenland wieder zurückzunehmen. Daran hakt es. Laut Grigorios Apostolou, Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Athen, wurden seit April 2016 nur knapp 2000 Menschen in die Türkei zurückgebracht – nur zwei Prozent aller Angekommenen. Auch deswegen sind die Registrierungszentren auf fünf Ägäis-Inseln überfüllt. Auf Lesbos leben 7000 Menschen dort, wo eigentlich nur Betten, Duschen und Toiletten für 3000 sind.

Griechenland bleibt also eines jener EU-Länder, die neben Italien und Deutschland die Hauptlast der Migrationsbewegung schultern. Und das in einem Staat, der unter strikten Sparauflagen internationaler Geldgeber steht. Die Bürger ächzen unter Steuererhöhungen und Rentenkürzungen, jeder fünfte ist arbeitslos.

Dass Deutschland in der Flüchtlingsfrage enorm viel geleistet hat, loben alle griechischen Gesprächspartner. Doch am Beistand anderer EU-Mitglieder hapere es. Dabei trage sein Land für die Krise im Nahen Osten keinerlei Verantwortung, so der für die Küstenwache zuständige Minister Panagiotis Kouroumblis: „Dennoch weigert sich Europa anzuerkennen, dass eine gemeinsame Herangehensweise an das Flüchtlingsproblem notwendig ist.“ Man brauche endlich einen effektiven Mechanismus, um Flüchtlinge aus den Mittelmeerstaaten auf den Rest der EU-Mitglieder zu verteilen. Bislang funktioniert das kaum.

Nationale Alleingänge lehnen die Griechen ab. Ein solcher wäre die Schließung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge, die bereits andernorts registriert sind oder einen Asylantrag gestellt haben. Das ohnehin belastete Land müsste mit noch mehr Menschen zurechtkommen. Baden-Württembergs Innenminister Strobl sagt dazu: „Wir dürfen Griechenland nicht alleinlassen. Wir müssen die Außengrenzen der EU besser schützen.“ Er fordert, die Arbeit der europäischen Grenzschützer von Frontex zu stärken. „Deutschland könnte rasch 1000 Bundespolizisten schicken sowie weitere 500 Polizisten aus den Bundesländern.“ Auf dem Meer beobachtet Frontex, wo Boote mit Flüchtlingen aufbrechen, und informiert etwa die türkischen Behörden. Diese stoppen die Boote in ihrem Hoheitsgebiet. Vor allem aber bergen die Frontex-Beamten in Seenot geratene Flüchtlinge. Das ist dringend notwendig. Laut den UN ertranken 2017 mindestens 3000 Menschen im Mittelmeer.

Zur Hilfe verpflichtet

Selbst mit mehr Personal bliebe es dabei: Frontex ist verpflichtet, Flüchtlinge aus dem Meer zu retten. An Bord gelangen diese in die EU. „Selbstverständlich lassen wir niemanden ertrinken, sondern helfen. Es ist aber eine andere Frage, ob man alle Flüchtlinge dann künftig weiter in die EU bringt“, sagt CDU-Bundesvize Strobl. Dazu bräuchte es jedoch Kooperationen mit allen Mittelmeeranrainern, die Menschen wieder aufnehmen – und das unter menschenwürdigen Bedingungen. Außerdem bleibt offen, wie man jenen Zurückgewiesenen den Zugang zum Asylverfahren in der EU ermöglicht, die politisch verfolgt oder auf der Flucht vor Krieg sind.

Deswegen argumentierten Daniel Lede Abal (Grüne) und SPD-Innenexperte Sascha Binder am Ende der Reise anders. Auch sie wünschen sich mehr Unterstützung für Frontex. Doch klar sei auch: Die Menschen müssten nach Europa gebracht werden, um dort ihre Asylanträge zu stellen. Danach brauche es eine gerechte Verteilung auf die EU – auch vor der Entscheidung über den Antrag. Der Tuttlinger AfD-Abgeordnete Lars-Patrick Berg dagegen setzt zwar ebenfalls darauf, in Seenot geratene Menschen zu retten, in die EU lassen solle man sie aber nicht.