Ein Erfolg ist Emmanuel Macron nach der bisher wichtigsten Fernsehansprache seiner Amtszeit sicher: Er hat mehr Zuschauer angezogen als die französische Fußballnationalmannschaft im Sommer beim Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft gegen Kroatien. Fast 23 Millionen Franzosen sahen die 13 Minuten lange Rede des Staatschefs, der auf die von den Gelbwesten ausgelöste Krise reagierte. Er tat dies, indem er zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest den staatlichen Geldbeutel öffnete.
100 Euro mehr Mindestlohn monatlich, eine steuerfreie Jahresendprämie, die auf freiwilliger Basis von den Unternehmen gezahlt wird, weniger Sozialabgaben für kleine Renten und die Steuerfreiheit der Überstunden – all dies hat Macron angekündigt.
Acht bis zehn Milliarden sollen die Versprechen kosten, die der frühere Wirtschaftsminister machte, um die seit vier Wochen andauernden Proteste der „Gilets jaunes“ (Gelbwesten) zu beenden. Denn auch das Wachstum leidet unter der Protestbewegung. Die Banque de France geht nur noch von einem Wachstum von 0,2 Prozent im vierten Quartal aus statt der bisher angenommenen 0,4 Prozent. Offiziell hält die Regierung noch am EU-Defizitziel von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes fest, doch der Damm ist längst gebrochen. „Man muss das Defizit für diese Verpflichtungen erhöhen“, forderte Parlamentspräsident Richard Ferrand im Radiosender RTL. Es handele sich um eine „vorübergehende“ Entwicklung im Jahr 2019. „ Frankreich wird seinen Rhythmus unter drei Prozent im Jahr darauf wieder finden.“
Der Vertraute des Präsidenten versucht damit die Tatsache schönzureden, dass auch der einstige Investmentbanker Macron das Defizit nicht in den Griff bekommt. Durch die vom Staatschef gemachten Versprechen könnte es im nächsten Jahr statt der geplanten 2,8 Prozent bei rund 3,5 Prozent liegen. Damit wäre Frankreich deutlich hinter Italien, das 2,4 Prozent anpeilt, und quasi gleichauf mit dem Schlusslicht Rumänien. Vor allem der Vergleich mit Italien ist heikel, denn die EU-Kommission hatte den italienischen Haushalt Ende Oktober abgelehnt, weil er nicht den EU-Regeln entspricht.
Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire war einer derjenigen, der wie ein Klassenstreber den schlechten Schüler Italien an seine Verpflichtungen erinnerte. Nun sieht sich Le Maire selbst in der Rolle desjenigen, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Der als Reformer angetretene Macron hatte im Wahlkampf versprochen, die EU-Defizitvorgabe einzuhalten und es im Mai geschafft, dass Frankreich nach neun Jahren aus dem Defizitverfahren entlassen wird. Der Präsident wollte damit vor allem in Deutschland Vertrauen zurückgewinnen, um dann im Gegenzug Unterstützung für seine EU-Reformen zu bekommen. „Die Überschreitung der drei Prozent würde in Brüssel und in den europäischen Hauptstädten als Eingeständnis des Scheiterns gesehen“, warnte die Wirtschaftszeitung „Les Echos“. Schlechte Voraussetzungen für Macrons Auftritt beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag, bei dem es unter anderem um seine Reform der Eurozone gehen soll.
Ferrand rechtfertigt Ausgaben
Der französische Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici ließ ausrichten, er werde sich die Auswirkungen der Zugeständnisse genau anschauen. „Ein stabiles Frankreich ist im Interesse Europas“ rechtfertigte Ferrand die neuen Ausgaben, die erst noch in den Haushalt eingearbeitet werden müssen. Ob die von Macron angekündigten Maßnahmen tatsächlich nach vier Wochen gewalttätiger Proteste für Stabilität sorgen, wird sich am Samstag zeigen. Dann soll Akt 5 der Demonstrationen der Gelbwesten stattfinden, die zuletzt rund 130 000 Menschen auf die Straße brachten.
Linkspolitiker Jean-Luc Mélen-chon rief direkt nach Macrons Rede dazu auf, am Samstag erneut zu protestieren. Er kritisiert ebenso wie viele der „Gilets jaunes“, dass Macron die Vermögenssteuer nicht wieder einführt, die er zu Beginn seiner Amtszeit abschaffte. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Opinionway fand die Hälfte der Franzosen den Präsidenten trotzdem überzeugend. 54 Prozent sprachen sich dafür aus, dass die Gelbwesten ihre Proteste nun beenden.
Auch Jacline Mouraud, die Sprecherin der gemäßigten Demonstranten, forderte eine Protestpause: „Wir müssen jetzt einen Ausweg aus der Krise finden. Wir können nicht den Rest unseres Lebens an einem Kreisverkehr verbringen.“