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Präsidialrepublik

(Fast) alle Macht dem Mann an der Spitze

Istanbul / Lesedauer: 2 min

Erdogan will die parlamentarische Demokratie durch ein Präsidialsystem ersetzen
Veröffentlicht:22.06.2018, 20:38

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Mit der Wahl am Sonntag verabschiedet sich die Türkei von einer langen Tradition der parlamentarischen Demokratie und verwandelt sich in eine Präsidialrepublik. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat die Veränderung vorangetrieben, die fast alle Macht auf die Staatsspitze konzentriert und dem Parlament wichtige Vollmachten entzieht.

Laut Erdogan wird der Systemwechsel zu einem effizienteren Regierungsstil beitragen, der das Land modernisieren wird. Die Opposition dagegen spricht von einem Ein-Mann-Staat und will im Falle eines Wahlsiegs das alte Regierungssystem wieder herstellen.

Die Präsidialrepublik, die bei einem Referendum im vergangenen Jahr beschlossen wurde, schafft das Amt des Ministerpräsidenten ab. Die Regierung wird künftig vom Präsidenten geführt und ist nicht mehr dem Parlament verantwortlich, sondern dem Staatschef. Die Volksvertretung kann deshalb das Kabinett nicht mehr stürzen; nur in extremen Fällen können die Abgeordneten einen Präsidenten vor Gericht stellen lassen. Das Staatsoberhaupt ist nicht nur Regierungschef, sondern auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er ernennt Minister und viele Richter, stellt den Staatshaushalt auf und kann Dekrete erlassen.

Allerdings behält das Parlament das Recht zur Gesetzgebung und kann Erlasse des Präsidenten überstimmen. Zudem kann die Volksvertretung den Haushaltsentwurf des Staatsoberhauptes ändern und über Krieg und Frieden entscheiden. Bei der Ausarbeitung seines Plans ging Erdogan davon aus, dass das Parlament weiter von seiner Partei AKP beherrscht wird. Dies könnte sich am Sonntag jedoch ändern. Der Staatschef kann zwar ein widerspenstiges Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen, doch damit wird nach dem neuen System automatisch auch eine neue Präsidentenwahl anberaumt – Erdogan würde seine eigene Amtszeit verkürzen. Auch die Präsidialrepublik wird ihm also möglicherweise nicht jene Machtfülle bringen, die er anstrebt.