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„Für Verbrechen an religiösen Minderheiten gibt es null Toleranz“

Biberach / Lesedauer: 5 min

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärt, wie die Bundesregierung die Region Kurdistan-Irak weiter unterstützen wird
Veröffentlicht:06.12.2019, 21:06

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Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat der kurdischen Regionalregierung mehr Unterstützung bei der Versorgung von Flüchtlingen zugesagt – und zwar 25 Millionen Euro zusätzlich. „Denn es geht um das Überleben der Menschen“, sagte er im Interview mit Claudia Kling.

Herr Minister Müller, Ihr Ministerium unterstützt seit Jahren den Wiederaufbau im Irak . Dabei ist das Land aufgrund seiner Ölvorkommen eigentlich nicht arm. Wieso ist die Hilfe dennoch notwendig?

Nach fürchterlichen Kriegsjahren und einer langen Diktatur unter Saddam Hussein ist der Irak noch nicht in der Lage, den Wiederaufbau aus eigener Kraft voranzutreiben. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist zwar militärisch besiegt, aber ihre Ideologie lebt in Teilen der Bevölkerung fort. Deshalb gibt es bis heute keine Sicherheit im Land. Der kurdische Nordirak ist von den Folgen des Terrors besonders stark betroffen und hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Seit Jahren müssen dort mehr als eine Million Flüchtlinge auf Zeltplanen leben. Von der Zentralregierung in Bagdad wird die teilautonome kurdische Regierung dabei kaum unterstützt. Ohne Hilfe von außen würde diese Region zusammenbrechen, deshalb konzentrieren wir dort unsere Hilfe.

Warum bedürfen vor allem die Minderheiten im Irak, beispielsweise Christen und Jesiden, besonderer Hilfe?

Die Jesiden, die in den kurdischen Nordirak geflohen sind, sowie Tausende syrische und irakische Christen teilen das gleiche Schicksal: Sie leben in extrem schwierigen Verhältnissen und haben kaum Zukunftsaussichten im Irak. Vor allem die Jesiden, die schreckliche Grausamkeiten erleiden mussten, haben wegen der schlechten Sicherheitslage derzeit keine Chance auf Rückkehr. Nach Jahren fern der Heimat macht sich Hoffnungslosigkeit breit. Deswegen ist mir besonders wichtig, den vom IS entführten und schwer traumatisierten jesidischen Frauen zu helfen. Wir unterstützen dazu ein Frauenzentrum zur Traumabehandlung und die Erweiterung des Azadi-Krankenhauses zur Notfallversorgung der Menschen.

Welche Zukunft für die jesidische Bevölkerung sehen Sie im Irak? Die Bundesregierung unterstützt ja den Wiederaufbau im Sindschar-Gebiet, obwohl die Sicherheit dort sehr schlecht ist.

Noch immer müssen 300 000 Jesiden in Kurdistan-Irak als Binnenvertriebene leben, das ist ein Drittel der gesamten Gemeinschaft! Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sie in ihre Heimat zurückkehren können. Voraussetzung ist natürlich, dass die irakische Regierung die Sicherheit gewährleistet. Davon sind wir momentan weit entfernt. Es gibt aber auch Hoffnungszeichen. In einige Gebiete kehren die ersten Menschen zurück. Dort versuchen wir den Wiederaufbau voranzutreiben. Jetzt richten wir unter anderem eine Gesundheitsstation für 20 000 Menschen ein.

Die türkische Offensive im Nordosten Syriens hatte weitere Zehntausende Flüchtlinge im Nordirak zur Folge. Hilft die Bundesregierung auch diesen Menschen?

Dieser neuerliche Zustrom von rund 15 000 Flüchtlingen in die kurdische Region Dohuk verschärft die Lage weiter. Deshalb werden wir unsere Unterstützung für den Nordirak ausbauen – und zwar um 25 Millionen Euro. Denn es geht um das Überleben der Menschen. Ich habe die Lager der Jesiden besucht. Mit 50 Cent am Tag können wir dort die Überlebensversorgung sicherstellen. Wenn die Menschen dort keine Chance auf eine Bleibe haben, stellt sich für sie natürlich die Frage, ob sie sich stattdessen auf den Weg nach Europa machen.

Schließen Sie es aus, dass die Bundesregierung die kurdische Miliz YPG , die in Syrien gemeinsam mit den USA und europäischen Ländern den IS bekämpft hat, als Terrororganisation einstuft? Dies hatte der Nato-Partner Türkei vor dem Gipfel in London ja gefordert.

Man muss schon im Blick behalten, wer in den vergangenen Jahren dazu beigetragen hat, den IS-Terror zu bekämpfen und Syrien und den Irak zu stabilisieren. Aus Sicht der Bundesregierung ist die YPG keine Terrororganisation. Deshalb haben wir eine andere Position zur YPG als die Türkei.

Die zentralirakische Regierung in Bagdad wird seit Wochen von einer Protestwelle erschüttert. Geht davon auch eine Gefahr für die Stabilität in der Autonomieregion Kurdistan aus?

Die Demonstrationen sind Ausdruck der Hoffnungslosigkeit einer jungen Generation, die arbeitslos ist und keine Zukunft im Land sieht. Die Region Kurdistan-Irak war im Vergleich zum Rest des Landes immer wirtschaftlich prosperierend und politisch stabil. Deshalb haben dort auch so viele Flüchtlinge eine Zuflucht gesehen und gefunden. Natürlich könnten die Probleme in Bagdad auch in Kurdistan ankommen – besonders dann, wenn die Zentralregierung ihre Finanzzusagen an die kurdische Regionalregierung nicht einhält. Eine Gefahr für die politische Stabilität und die Sicherheit im Nordirak sehe ich aber nicht.

In Deutschland wirbt ein parteiübergreifendes Bündnis, bestehend aus dem CDU-Politiker Volker Kauder, der Grünen-Chefin Annalena Baerbock und dem SPD-Politiker Thomas Oppermann für ein weiteres Sonderkontingent für jesidische Frauen, die von IS-Männer vergewaltigt und schwanger wurden. Befürworten Sie ein solches Aufnahmeprogramm?

Ich unterstütze ausdrücklich ein Sonderkontingent für diese schwer traumatisierten Frauen. Die Frage, was mit den Kindern passiert, die aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind, ist ja höchst problematisch, weil sie bislang keine Aufnahme in der jesidischen Gemeinschaft finden. Aber auch die juristische Aufarbeitung der grausamen Verbrechen an den Jesiden muss vorangetrieben werden. Für Verbrechen an religiösen Minderheiten gibt es null Toleranz. Die Welt kann nicht zuschauen, wenn religiöse Minderheiten vertrieben werden oder gar einen Genozid erleiden. Wir müssen das ganze Ausmaß der Verbrechen ans Licht bringen. Dazu unterstützen wir die Beweissammlung vor Ort. Aber klar ist: Die völkerstrafrechtliche Aufarbeitung und Verfolgung dieser Verbrechen muss verstärkt werden. Und die UN-Sondergesandte muss sich dieses Themas stärker annehmen.

 Minister Gerd Müller im Austausch mit Chefredakteur Hendrik Groth. Rechts im Bild: Ludger Möllers.