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Deutschland bereitet sich auf Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vor

Berlin / Lesedauer: 4 min

Nach dem russischem Überfall auf die Ukraine erwarten Politiker eine Fluchtbewegung in Richtung Westen
Veröffentlicht:24.02.2022, 17:15

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Die Zahl, die von der UN-Botschafterin der USA genannt wurde, ist beeindruckend: Im Falle einer weiteren Eskalation im Ukraine-Konflikt schätzt sie, dass bis zu fünf Millionen Menschen fliehen müssten.

Wenn Russland diesen Weg, weitergehe, könnte es „eine neue Flüchtlingskrise auslösen“, sagte Linda Thomas-Greenfield laut Agentur AFP vor der UN-Generalversammlung in New York – und vor der dem russischen Angriff auf die Ukraine . Dies wäre „eine der größten“ Flüchtlingskrisen der Welt.

Wir werden die betroffenen Staaten massiv unterstützen.

, Bundesinnenministerin Nancy Faeser

In Deutschland sind Migrationsforscher und Politiker zurückhaltender – zumindest mit Aussagen zu den Zahlen. Vom Bundesinnenministerium gibt es noch keine verlässliche Prognose, mit wie vielen geflohenen Ukrainern zu rechnen sei. Weder innerhalb der Ukraine noch in die Nachbarstaaten gebe es derzeit eine große Fluchtbewegung.

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Aber um darauf vorbereitet zu sein, sucht Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sowohl den Austausch mit der polnischen Regierung als auch mit den Innenministerien in den Ländern, die für die Erstaufnahmeeinrichtungen zuständig sind. „Wir werden die betroffenen Staaten – vor allem unser Nachbarland Polen – massiv unterstützen, sollte es zu großen Fluchtbewegungen kommen“, sagte Faeser am Donnerstag in Berlin.

Gerald Knaus , Migrationsforscher und Vorsitzender des Think Tanks European Stability Initiative (ESI), bezweifelt allerdings, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vor allen in den angrenzenden Ländern Zuflucht suchen werden.

„Die Vorstellung, dass das zu einem Problem der Polen oder Slowaken wird, halte ich für unrealistisch. Wenn es zu einer größeren Bewegung von Ukrainern kommt, dann wird diese alle EU-Länder betreffen und nicht nur die Nachbarstaaten“, sagte Knaus der „Schwäbischen Zeitung“.

Ukrainische Staatsbürger können legal mit einem Reisepass in die Europäische Union einreisen

Denn zwischen den ukrainischen und anderen Kriegsflüchtlingen wie den Syrern gibt es einen großen Unterschied: Ukrainische Staatsbürger können legal mit einem Reisepass in die Europäische Union einreisen. Sie brauchen dafür weder ein Visum noch müssen sie einen Asylantrag stellen, um sich in Deutschland, Frankreich oder Italien aufhalten zu können.

Das heißt, sie betrifft das Dublin-Verfahren, das die Aufnahme von Asylsuchenden in der Europäischen Union regelt, nicht. „Wenn sie Freunde oder Verwandte in der EU haben oder eigene Mittel, dann könnten sie auch einfach einige Monate bleiben und sehen, wie sich die Dinge entwickeln“, sagt Knaus.

Sollten sich die Dinge so entwickeln, wie es die westlichen Länder mit Blick auf die russische Invasion befürchten, dann werden die Flüchtlinge aus der Ukraine jedoch auf Unterstützung angewiesen sein. Denn sie können sich zwar legal für 90 Tage im Halbjahr in der Europäischen Union aufhalten, aber sie dürfen in dieser Zeit weder arbeiten noch haben sie Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Laut Innenministerin Faeser bereitet die EU-Kommission derzeit einen Beschluss vor, der es ermöglicht, ukrainische Flüchtlinge über die 90-Tage-Frist hinaus ohne Asylverfahren unbürokratisch aufzunehmen. Darüber sollte noch am Abend entschieden werden.

Kapazitäten der Kommunen sind nicht unbegrenzt.

Gerd Landsberg, Städte- und Gemeindebund

Auch der Städte- und Gemeindebund drängt darauf, dass sich Bund, Länder und Kommunen rechtzeitig auf Flüchtlinge aus der Ukraine vorbereiten. Notwendig sei es, die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder wieder in Betrieb zu nehmen und die notwendigen finanziellen Mittel für die Kommunen bereit zu stellen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Gerd Landsberg, dem „Handelsblatt“.

Die Kommunen in Deutschland seien solidarisch, es sei aber auch klar, „dass die Kapazitäten in den Kommunen nicht unbegrenzt sind“.

Bislang verlassen Ukrainer – trotz des langjährigen Konflikts in der Ostukraine – eher selten ihr Land. Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR leben in der Ukraine rund 860.000 Binnenflüchtlinge.

Auch Migrationsforscher Knaus bestätigt, dass die Zahl der Asylsuchenden aus der Ukraine in den vergangenen acht Jahren vergleichsweise gering war. Sollte sich das jetzt ändern, wirbt er dafür, die EU-Grenzen auf jeden Fall offenzuhalten. „Das schlimmste, was die EU jetzt machen könnte, wäre, über die Wiedereinführung einer Visapflicht zu diskutieren. Das wäre ein Verrat an den Ukrainern“, sagt Knaus.

EU verharrt im Sreit um Migration

Davon ist im Moment nicht auszugehen. Mit allen östlichen EU-Ländern seien „Notfallpläne vereinbart“, um Menschen aus der Ukraine sofort aufzunehmen, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Brüssel. „Und sie sind willkommen.“

Dass die Ukraine-Krise Bewegung in den jahrelangen Streit um die EU-Migrationspolitik bringt, ist nach Ansicht von Experten nicht zu erwarten. Die jetzige Situation werde die Debatte über das gemeinsame europäische Asylsystem nicht voranbringen, so Knaus. „Aber jeder Form der Kooperation zwischen Staaten wäre schon ein Fortschritt.“