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Das vergiftete Erbe der Colonia Dignidad

Berlin / Lesedauer: 2 min

Die Opfer der deutschen Foltersekte warten weiter auf Anerkennung ihres Leidens. Jetzt handelt die Regierung – doch das reicht vielen bei weitem nicht.
Veröffentlicht:06.07.2018, 21:07

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Die vom deutschen Laienprediger Paul Schäfer 1961 gegründete „Colonia Dignidad“ („Kolonie der Würde“) in Zentralchile war jahrzehntelang ein Ort des Grauens. So diente die Siedlung während der Diktatur Augusto Pinochets (1973-1990) als Folterlager für politische Gefangene. Aber auch die rund 300 Bewohner der gleichnamigen Sekte erlitten brutale Misshandlungen. Sie mussten Zwangsarbeit leisten, wurden geschlagen und mit Medikamenten ruhiggestellt. Kinder wurden sexuell missbraucht. Zudem sollen Waffen auf dem Gelände gelagert und produziert worden sein.

Mit der Verhaftung Schäfers im Jahr 2005 begann in Chile die Aufarbeitung. Der Gründer wurde unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs und Mordes zu 33 Jahren Haft verurteilt. Er starb 2010 im Gefängniskrankenhaus. Die Justiz erklärte die gesamte Führungsriege der „Colonia Dignidad“ zu einer kriminellen Vereinigung. Weitere Führungsmitglieder wurden verurteilt und sitzen in Haft.

Mit der rechtskonservativen Regierung von Präsident Sebastián Piñera, die seit März im Amt ist, scheint das Interesse an der Aufarbeitung aber nachgelassen zu haben. Der aktuelle Justizminister Hernán Larraín soll bis in die 1990er-Jahre Verbindungen zu Colonia-Gründer Schäfer gepflegt haben.

In Deutschland ist bislang noch kein Täter zur Rechenschaft gezogen worden. Der bekannteste Fall ist der Arzt Hartmut Hopp, der sich 2011 nach Deutschland absetzte und in Krefeld lebt. Hopp konnte fliehen, weil seine Verurteilung wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch damals noch nicht rechtskräftig war. Eine Ausweisung nach Chile lehnte Deutschland ab. Die Staatsanwaltschaft in Krefeld forderte, das Urteil in Deutschland zu vollstrecken. Eine Entscheidung des zuständigen Landgerichts steht noch aus.

Harte Kritik an Regierungsplänen

Auch die politische Aufarbeitung ließ lange auf sich warten. Diplomaten hätten bei den Geschehnissen in der „Colonia Dignidad“ weggeschaut und deutschen Bürgern Schutz verweigert, räumte 2016 der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier ein. Im Herbst 2016 reiste der Rechtsausschuss des Bundestags unter Vorsitz von Renate Künast (Grüne) nach Chile und traf sich mit Opfern der ehemaligen Sektensiedlung. Im vergangenen Jahr votierte der Bundestag einstimmig dafür, die Aufarbeitung voranzutreiben und beauftragte die Bundesregierung mit einem Hilfskonzept.

Der aktuelle Entwurf des Auswärtigen Amtes sorgt allerdings für scharfe Kritik. „Diese Vorlage dreht das Rad wieder weit zurück zur Ignoranz gegenüber der eigenen historischen Verantwortung des Amtes“, so Künast.

Heute heißt die Siedlung rund 350 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt „Villa Baviera“. Rund 100 ehemalige Bewohner, die größtenteils selbst unter der Schreckensherrschaft gelitten haben, leben noch dort und versuchen, ihren Lebensunterhalt mit Tourismus zu verdienen. Dies stößt bei Opferverbänden auf Unverständnis und harsche Kritik. Sie setzten sich seit Langem für eine Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Sekte ein.