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Vernichtungskrieg

CDU-Außenexperte Kiesewetter: „Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung“

Berlin / Lesedauer: 3 min

Kiesewetter macht Russland für den Raketeneinschlag in Polen verantwortlich. „Ohne den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gäbe es auch nicht die Gefahr von Querschlägern oder Irrläufern“, sagt er.
Veröffentlicht:16.11.2022, 19:07

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Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter wirft dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, mit dem Krieg in der Ukraine auch den Zusammenhalt im Westen zerstören zu wollen. „Er glaubt ja ohnehin, dass wir weniger leidensfähig sind als die Russen“, sagte Kiesewetter im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von dem Raketeneinschlag in Polen am Dienstagabend erfahren haben?

Wo kommt das her, wer war das? Das war mein allererster Gedanke. Die Raketeneinschläge zeigen, dass der Krieg in Europa ist und uns alle betrifft. Dass es zu Unfällen und Querschlägern kommt, war nur eine Frage der Zeit. Wichtig war, dass alle besonnen blieben und auf Aufklärung setzten.

Der Verursacher des Vorfalls ist aber Russland , das ist klar. Ohne den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gäbe es auch nicht die Gefahr von Querschlägern oder Irrläufern. Auf die Ukraine wurden am Dienstag mehrere hundert Raketen abgeschossen, Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung.

Hätten Sie Russland eine solche Eskalation des Konflikts zugetraut?

Ja. Wir sehen einerseits die furchtbaren Kriegsverbrechen in der Ukraine . Andererseits ist völlig klar, dass dieser Krieg kein Krieg gegen die Ukraine ist, sondern gegen den gesamten Westen. Russland hat S-300-Raketen in Belarus stationiert und nutzt sie als Boden-Boden-Raketen. Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass so etwas passieren kann – ob absichtlich oder unabsichtlich.

Russland wurde beim G20-Gipfel auf Bali weiter isoliert. Könnte dies beim russischen Präsidenten Wladimir Putin zu Kurzschlussreaktionen führen?

Nein, das hat er ja einkalkuliert. Er ist bewusst nicht nach Bali gereist, weil er wusste, dass dieses Treffen für Russland ein Desaster wird. Auch traditionelle Verbündete wie China haben sich distanzierter gezeigt.

Putin handelt sehr strategisch und vorausschauend, aber eben nicht in unserem Sinne. Er zerbricht sich den Kopf darüber, wie er unseren Zusammenhalt zerstören und die Ukraine zerbrechen kann, aber es geht ihm nicht um seinen Ruf.

Die Haltung der G20 fordert Putin also nicht noch mehr heraus?

Nein, das ist alles Kalkül. Aber wir müssen uns um die Ukraine sorgen. Da sind über 40 Prozent der Stromversorgung kaputt, sieben Millionen Haushalte, 25 bis 30 Millionen Menschen sind ohne Strom. Putin will, dass diese Menschen aus der Ukraine fliehen. Er geht davon aus, dass wir weitere Millionen Flüchtlinge nicht aushalten und unser Zusammenhalt zerbricht.

Er glaubt ja ohnehin, dass wir weniger leidensfähig sind als die Russen. Deshalb müssen wir die Ukraine sehr viel intensiver unterstützen als bisher – auch mit Schützen- und Kampfpanzern. Aus den USA, wo ich mich gerade aufhalte, höre ich das Signal, dass sie Deutschland und die Europäer ermutigen, alles, was sie verfügbar haben, an die Ukraine zu liefern.

Wie bewerten Sie die ersten Äußerungen der Ukraine nach dem Raketeneinschlag in Polen?

Das zeigt, wie sehr dort die Nerven blank liegen. Präsident Selenskyj hat die Herausforderung, 35 Millionen Menschen zu schützen und über den Winter zu bringen bei permanenten Angriffen auf kritische Infrastruktur. Es wäre natürlich klüger gewesen zu sagen, wir warten umfassende Untersuchungen ab.

Aber ich habe Verständnis dafür, dass nach acht Monaten täglicher extremer Anspannung Aussagen auch entgleiten können. US-Präsident Joe Biden hat in dieser Situation einen tollen Job gemacht, aber auch die polnische Regierung, die besonnen und ohne voreilige Schuldzuweisungen reagiert hat. Das hat allen gezeigt, wie wenig es bringt, immer gleich auf Vollgas zu gehen.