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Bundesregierung sagt dem Krebs den Kampf an

Berlin / Lesedauer: 4 min

Die Bundesregierung stellt ihre Strategie gegen die tödliche Krankheit vor
Veröffentlicht:28.01.2019, 20:05

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Keine andere Diagnose sorgt für mehr Angst: Zwei von drei Deutschen fürchten, Krebs zu bekommen – obwohl an Herz-Kreislauf-Erkrankungen mehr Menschen sterben. Am heutigen Dienstag stellt die Bundesregierung daher eine „Nationale Dekade gegen Krebs“ vor.

Eine halbe Million Frauen und Männer trifft die Krebsdiagnose hierzulande Jahr für Jahr. Vor allem Brust- und Darmkrebs bei Frauen, Prostata- und Lungenkrebs bei Männern. Tendenz steigend. Für 2020 erwartet das Robert Koch-Institut 20 000 Fälle mehr. Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht für 2030 von fast 600 000 Krebsdiagnosen aus.

Tumorerkrankungen sind die zweithäufigste Todesursache. Fast jede zweite Tumordiagnose geht für den Patienten tödlich aus. Allerdings: Seit Anfang der 1990er-Jahre geht die Krebssterblichkeit zurück. Etwa die Hälfte aller erwachsenen Krebspatienten können geheilt werden – und sogar vier von fünf erkrankten Kindern.

Doch angesichts der zu geringen Fortschritte im Kampf gegen den Krebs rufen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek ( CDU ) und Jens Spahn am heutigen Dienstag zusammen das Jahrzehnt der Krebsbekämpfung aus. Spahn hat klargemacht, wie groß das Thema ist: Es sei wichtiger, den Krebs zu besiegen, als neue Pläne für eine Mondlandung zu schmieden.

Nun sorgt eine alternde Gesellschaft zwangsläufig für steigende Fallzahlen. In früheren Generationen sind viele Menschen einfach gar nicht so alt geworden, dass bei ihnen Krebs ausbrechen konnte. Und je höher der Altersdurchschnitt ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Krebs sich ausbreitet.

Ein Drittel ließe sich vermeiden

Gleichzeitig sind bösartige Tumore aber ein Massenphänomen in Industrieländern. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation lassen sich etwa ein Drittel aller Krebserkrankungen auf Lebensstilfaktoren wie Tabak- und Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung oder zu wenig Bewegung zurückführen. Zusammen mit Vererbung und Umwelteinflüssen können sie dafür sorgen, dass nach Genmutationen Zellen anfangen, unkontrolliert zu wachsen und gesundes Gewebe verdrängen. Viele Erkrankungen ließen sich vermeiden. Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat für 2018 bei Neuerkrankungen von 35- bis 84-Jährigen errechnet, dass fast jede fünfte Diagnose auf das Rauchen zurückzuführen sei. Sieben Prozent gingen auf Übergewicht, sechs Prozent auf geringe körperliche Aktivität zurück.

Allerdings: Brustkrebs etwa „kann jede Frau treffen – selbst wenn sie gesund lebt und Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Übergewicht vermeidet“, weiß Frauenärztin Karin Bock, Leiterin des Referenzzentrums Mammographie Südwest, das sich um Früherkennung von Brustkrebs per Röntgenuntersuchung in Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland kümmert. Eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens am sogenannten Mammakarzinom. Jede zehnte Frau, die an Brustkrebs erkrankt, ist laut Deutscher Krebshilfe noch keine 45 Jahre alt. Experten vermuten, dass viele davon erblich vorbelastet sind, also schädlich veränderte Gene in sich tragen, die dann den Tumor entstehen lassen. Und: Jeder 100. Brustkrebsfall ist ein Mann. Auch hier gebe es für die optimale Versorgung „eine große Wissenslücke“, sagt Gerd Nettekoven, Chef der Krebshilfe. Mehr Forschung tut also dringend not. Auch die Digitalisierung soll helfen. Die Auswertung großer Datenmengen kann in der Früherkennung und Bekämpfung von Krebs helfen. So haben das amerikanische Start-up MD.ai und der australische Radiologe Luke Oakden-Rayler 2018 zwei Algorithmen darauf trainiert, zusammen Krebsdiagnosen zu erstellen: Das erste Programm sucht auf CT-Aufnahmen Tumore, das zweite analysiert, ob diese bösartig sind. Nach zwei Stunden „Ausbildung“, in denen die Algorithmen mit 200 000 CT-Bildern gefüttert worden waren, konnten 68 Prozent aller Tumore erkannt und deren Bösartigkeit zu 83 Prozent korrekt diagnostiziert werden. In diesem Bereich aber ist Deutschland laut Bertelsmann Stiftung weit hinterher. „Mediziner in Israel beispielsweise setzen systematisch künstliche Intelligenz zur Früherkennung von Krebserkrankungen ein“, so Vorstand Brigitte Mohn. Hier müsse die Gesundheitspolitik entschlossener handeln.

Das soll jetzt passieren. Für Spahn geht es dabei nicht nur um Forschung und Therapie. Ihm ist zudem wichtig, die Perspektive von Krebspatienten und ihren Familien mehr ins Zentrum zu stellen. Denn auch wer den Krebs überlebt und als geheilt gilt, kann noch auf Jahre körperlich und mental darunter leiden.