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Brexit-Chaos: Die Labour-Party weiß, dass sie es nicht weiß

Brighton / Lesedauer: 3 min

Die linke Opposition in Großbritannien findet keine Parteilinie zum Brexit – und verschreckt so weiter Wähler
Veröffentlicht:24.09.2019, 06:00

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Die britische Labour-Partei findet weiter zu keiner klaren Haltung in Sachen Brexit. Beim Parteitag im südenglischen Seebad Brighton bekräftigten prominente Pro-Europäer wie Emily Thornberry und Keir Starmer im Einklang mit der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder ihren Wunsch nach einem klaren Eintreten der Arbeiterpartei für den EU-Verbleib. Die Europa-skeptische Parteispitze um Jeremy Corbyn setzt dagegen, unterstützt von den wichtigsten Gewerkschaften, weiterhin auf einen neutralen Kurs in der wichtigsten Frage britischer Politik.

Während in der britischen Politik normalerweise die Parteitage der landesweiten Parteien uneingeschränkte Aufmerksamkeit genießen, sieht sich Labour diesmal erheblichem Störfeuer ausgesetzt. Offensiv vermarkten die Spindoktoren von Premierminister Boris Johnson dessen Auftritte Johnsons beim New Yorker Klimagipfel sowie seine Treffen mit wichtigen EU-Partnern wie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Am Montag war außerdem ein Termin mit dem scheidenden EU-Ratspräsidenten Donald Tusk vorgesehen. Am Dienstag sollte er sich mit dem irischen Premierminister Leo Varadkar treffen, dessen Zustimmung zu einem neuen Brexit-Kompromiss als unerlässlich gilt.

Zudem steht das Jahrestreffen in Brighton unter dem Vorbehalt des Urteilsspruchs, den der Supreme Court für Anfang der Woche angekündigt hat. Dabei geht es um die Zwangspause bis 14. Oktober, die Johnson dem Parlament verordnet hat. Sollten die Höchstrichter die Maßnahme für illegal erklären, könnte es zu einer Verkürzung oder gar zum Abbruch des Labour-Parteitags kommen.

Das wäre vielen in der Partei gar nicht so unrecht. Die Stimmung in Brighton ist viel schlechter als vor einem Jahr in Liverpool, wo sich der linke Veteran Corbyn noch in der Zustimmung seiner mehr als einer halben Million Mitglieder sonnen konnte. Diesmal liegen der Brexit-Streit und die schlechten Umfragewerte vielen Delegierten im Magen, der Chef selbst wirkte gereizt.

Wie viele Besucher vom Kontinent nutzen auch deutsche Politiker das Stelldichein am Ärmelkanal zum Gedankenaustausch mit Mitgliedern der größten Partei Westeuropas. Beim parallel zum Parteitag veranstalteten Graswurzel-Treffen „the World transformed“ sprachen am Montag sowohl Katja Kipping, die Vorsitzende der Linken, wie auch der Juso-Chef Kevin Kühnert. Man werde gewiss den britischen Parteifreunden keine klugen Ratschläge erteilen, sagte Kühnert der „Schwäbischen Zeitung“. Immerhin könne er aus bitterer eigener Erfahrung berichten: „Es kommt bei den Leuten nicht gut an, wenn man ihnen vor der Wahl sagt, man werde ihnen irgendwann später sagen, was man eigentlich will.“

Genau diese Befürchtung haben viele Europafreunde bei Labour für die noch in diesem Jahr erwarteten Neuwahlen. Sie stützen sich dabei auf Umfragen und akademische Studien. Einer Untersuchung der London School of Economics (LSE) zufolge sehen weniger als zehn Prozent potenzieller Labour-Wähler den EU-Austritt als „richtige Entscheidung“. Corbyn laufe also Gefahr, ohne Not seine proeuropäische Wählerschaft zu vergrätzen, analysiert LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt.

Ebenso wenig beeindruckt zeigen sich überzeugte Brexiteers, die der Europaskeptische Altlinke im Labour-Boot behalten will. „Mit einem Kompromisskurs gewinnt man keine Wähler“, glaubt John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität.