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Boris Johnson will das Unterhaus lahmlegen

London / Lesedauer: 4 min

Die Opposition reagiert empört auf die erzwungene Parlamentspause – Auch von Parteikollegen kommt Kritik
Veröffentlicht:28.08.2019, 20:28

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Im Brexit-Poker zwischen Regierung und Parlament in Großbritannien hat Boris Johnson am Mittwoch den Einsatz erhöht. Mit Verweis auf geplante Reformen im Gesundheitswesen, in Schulen und der Kriminalitätsbekämpfung kündigte der konservative Regierungs-chef eine knapp fünfwöchige Zwangsschließung des Unterhauses sowie eine neue Regierungserklärung für Mitte Oktober an. In Wirklichkeit wolle der Premierminister die Brexit-Debatte abwürgen, sagten Abgeordnete der Opposition sowie aus Johnsons eigener Fraktion.

Woraus besteht Johnsons Initiative?

Eigentlich gehört eine von der Regierung angeordnete und von der Queen abgesegnete Zwangspause des Parlaments zur Normalität auf der Insel. Die sogenannte Prorogation schließt eine Parlamentsession ab, die durchschnittlich ein Kalenderjahr dauert. Die darauffolgende Periode eröffnet Königin Elizabeth II. , indem sie das neue Regierungsprogramm (Queen’s Speech) verliest. In einem Brief an alle 650 Abgeordneten des Unterhauses verwies der Premier darauf, dass die derzeitige Session nach der vergangenen Wahl im Juni 2017 begann und bereits 340 Sitzungstage währt, so lange wie keine andere seit mehr als 350 Jahren. Mit seiner „neuen“ Regierung habe er das Recht, dem Parlament und dem Land sein „fantastisches“ Programm vorzustellen, argumentierte Johnson. Nach der Queen’s Speech, die für 14. Oktober geplant ist, sei reichlich Gelegenheit zur Prüfung seiner Brexit-Politik. Ausdrücklich nahm der Regierungschef Bezug auf den EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober, von dem er sich eine neue Austrittsvereinbarung erhofft. Dem Parlament bleibe dann noch genug Zeit, den neuen Vertrag zu verabschieden. Auf jeden Fall werde die Insel am 31. Oktober aus der EU ausscheiden, notfalls auch ohne Vertrag (No Deal).

Wie reagiert die Opposition?

Es sei „vollkommen klar, dass eine Diskussion über den Brexit verhindert werden solle“, betonte Speaker John Bercow. Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP sprach vom „Tag, an dem unsere Demokratie verstarb“. Eine „Kriegserklärung“ ans Parlament sah der Liberaldemokrat Tom Brake. Ein „verfassungsrechtliches Verbrechen“ sieht der Konservative Philip Hammond, der bis vergangenen Monat Finanzminister war. Sein Kollege vom liberal-konservativen Flügel der Regierungspartei, Dominic Grieve, glaubt, ein Misstrauensvotum gegen Johnson schon kommende Woche sei wieder wahrscheinlicher geworden. Dieser Weg war erst am Dienstag bei einem Treffen aller Oppositionsfraktionen verworfen worden. Stattdessen werde man sich auf ein Gesetz konzentrieren, das den No Deal illegal machen würde, beschloss die Versammlung.

Wie können Parlamentarier Johnsons Plan vereiteln?

Die Gegner des No Deal stehen nun unter Zugzwang. Nach bisheriger Planung tagt das Unterhaus nach seiner Sommerpause ab kommendem Dienstag lediglich zwei Wochen, ehe die Session erneut für drei Wochen zugunsten der Parteitage von Torys, Labour und Liberaldemokraten unterbrochen wird. Eine bereits diskutierte Absage dieser Unterbrechung müsste mehrheitlich im Parlament beschlossen werden; die Aussichten dafür stehen schlecht, weil die Parteien kein Interesse daran haben, ihre lukrativen Jahrestreffen zu verkürzen oder ganz abzusagen. Mehr als 70 Angehörige des Ober- und Unterhauses gehen den Gerichtsweg: Am 6. September berät das Sessionsgericht in Edinburgh über ihren Antrag, die Prorogation für ungesetzlich zu erklären. Das oberste schottische Gericht hatte bereits Johnsons Vorgängerregierung unter Theresa May Zügel angelegt, als es um No Deal zum angepeilten Termin im vergangenen März ging. Professorin Meg Russell, Verfassungsexpertin vom Londoner University College, wies am Mittwoch darauf hin, der amtierende Premierminister sei seit seinem Amtsantritt wegen der Sommerpause lediglich einen Tag lang der Kontrolle durch das Parlament ausgesetzt gewesen. Dabei stelle die „Rechenschaftspflicht der Regierung gegenüber dem Unterhaus das Zentrum unserer Demokratie“ dar.

Hätte die Queen dem angestrebten Parlamentsurlaub ihre Genehmigung verweigern können?

Das wäre „der Entlassung des Premierministers gleichgekommen“, erläutert Professor Vernon Bogdanor, Autor des Standardwerkes „Die neue britische Verfassung“. Hingegen halte sich Elizabeth II an die konstitutionelle Praxis, wonach sie stets dem Rat ihres amtierenden Premierministers zu folgen hat. Anderer Meinung scheint Oppositionsführer Jeremy Corbyn zu sein. Er bat am Mittwoch die Königin um ein erweitertes Treffen mit dem sogenannten Kronrat (Privy Council), dem führende Mitglieder des Parlaments angehören. Damit würde das 93-jährige Staatsoberhaupt zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahrzehnten aktiv in die Tagespolitik eingreifen.