Per Video-Konferenz haben Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten am Mittwoch über drastische Beschränkungen gesprochen, um die massiv steigenden Coronavirus-Infektionszahlen in den Griff bekommen. Am Nachmittag, kurz nach 17.30 Uhr, wurde dann die Einigung verkündet.
Mit strengen Kontaktbeschränkungen für die Bürger und einem weitgehenden Herunterfahren aller Freizeitaktivitäten wollen Bund und Länder die zweite Corona-Infektionswelle brechen. Auf diese Weise soll eine unkontrollierbare Ausbreitung der Epidemie verhindert werden.
"Wenn es bei diesem Tempo bleibt, kommen wir binnen Wochen an die Leistungsgrenze des Gesundheitssystems", erklärte Merkel in der Pressekonferenz in Berlin. Deshalb müsse man sofort Maßnahmen ergreifen.
Die Maßnahmen sollen ab kommenden Montag bis Ende November gelten. Restaurants und Kneipen sollen wieder schließen, genauso wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo- und Fitnessstudios oder Kinos.
Kanzlerin Angela MerkelWenn es bei diesem Tempo bleibt kommen wir binnen Wochen an die Leistungsgrenze des Gesundheitssystems.
Das Wichtigste Instrument zur Eindämmung der Pandemie, die Kontaktnachverfolgung, sei derzeit nicht mehr zu gewährleisten - wegen überlasteter Gesundheitsämter angesichts zu hoher Fallzahlen. "Die Kurve muss wieder abflachen", erklärte Merkel.
Vom 2. November an wird es daher nach Worten der Kanzlerin "eine nationale Kraftanstrengung geben". Zwei Wochen später sollen die ergriffenen Maßnahmen dann bereits auf den Prüfstand kommen. Generell habe man "belastende Maßnahmen für das gesamte Land beschlossen" - am Ende hätten alle Ministerpräsidenten die Beschlüsse mitgetragen .
Lesen Sie dazu unseren Leitartikel: Die Politik muss Entscheidungen treffen, um Corona in den Griff zu bekommen. Doch alle Anstrengung nützt nichts, wenn die Bürger sie ins Leere laufen lassen - meint Chefredakteur Hendrik Groth. Hier geht's zum Text.
Michael Müller, SPD , Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte im Anschluss an das Statement der Kanzlerin: "Es ist mir sehr schwergefallen den Beschluss zu tragen." Es ginge aber um Menschenleben - und der Pandemie weiter ihren Lauf zu lassen würde bedeuten, diesen Menschen nicht zu helfen. Er machte allerdings Einschränkungen bei Schulen und Kitas : Man werde alles tun, damit diese zunächst offen bleiben könnten - unter Ausnutzung aller Maßnahmen die dabei möglich seien, um die Infektionsgefahr zu kontrollieren.
Eine Schließung von Schulen und Kitas hätte aber ebenfalls fatale Folgen. Müller sprach auch von Gewalt in Familien , die in der Phase des Lockdowns zugenommen habe - weil Eltern die Betreuung zu Hause übernehmen mussten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte in der Pressekonferenz: "Je länger wir warten, desto schwieriger wird es.„Wir sind eine Solidaritätsgesellschaft und kein Egoland." Es habe sich herausgestellt, dass das bisher versuchte nicht ausreiche.
Das sind die beschlossenen Maßnahmen im Detail
KONTAKTE: In der Öffentlichkeit dürfen sich nur noch Angehörige zweier Haushalte treffen — maximal zehn Personen. Es wird dabei verstärkte Kontrollen geben. Menschen sollten Besuche von Verwandten einschränken, Reisen auf das Nötigste beschränken.
GASTRONOMIE: Restaurants, Bars, Clubs, Diskotheken und Kneipen werden geschlossen. Erlaubt ist weiter die Lieferung und Abholung von Essen für den Verzehr zu Hause. Auch Kantinen dürfen öffnen.
SUPERMÄRKTE: Der Einzelhandel bleibt geöffnet — es gibt aber Vorschriften, wie viele Kunden gleichzeitig im Laden sein dürfen (ein Kunde auf 10 Quadratmetern)
SCHULEN/KINDERGÄRTEN: Schulen und Kindergärten bleiben offen.
FREIZEIT: Freizeiteinrichtungen werden geschlossen. Dazu gehören etwa Theater, Opern, Konzerthäuser, Messen, Kinos, Freizeitparks und Spielhallen.
SPORT: Fitnessstudios, Schwimm- und Spaßbäder werden geschlossen. Der Amateursportbetrieb wird eingestellt, Vereine dürfen also nicht mehr trainieren. Individualsport, also etwa alleine joggen gehen, ist weiter erlaubt. Profisport wie die Fußball-Bundesliga ist nur ohne Zuschauer zugelassen.
DIENSTLEISTUNGEN: Kosmetikstudios, Massagepraxen und Tattoo-Studios werden geschlossen, weil hier der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Medizinisch notwendige Behandlungen etwa beim Physiotherapeuten sind weiter möglich. Auch Friseure bleiben geöffnet.
WIRTSCHAFTSHILFEN: Es soll neue Wirtschaftshilfen geben, die betroffenen Unternehmen große Teile ihres Umsatzausfalls ersetzen. Dabei könnte bei kleinen Betrieben bis zu 75 Prozent, bei größeren bis zu 70 Prozent der Lücke gestopft werden.
Erklärung von Winfried Kretschmann
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat sich in einer Erklärung am Mittwochabend klar zu den Beschlüssen zur Eindämmung des öffentlichen Lebens in Deutschland bekannt. Denn: „Es droht eine akute nationale Gesundheitsnotlage“, sagte er nach der Konferenz mit seinen Länderkollegen und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Kretschmann veranschaulichte seine Aussage mit zwei Landkarten von Baden-Württemberg. Die erste vom September zeigte das in Kreise gegliederte Land flächendeckend gelb eingefärbt. Die Farbe steht für die Anzahl an Infektionen mit dem Coronavirus. Zur zweiten, aktuellen Karte sagte er: „Heute sehen Sie die Karte weitgehend rot, ja sogar dunkelrot. Die Tagesinzidenz ist sechsmal so hoch wie vor vier Wochen. Das zeigt, die Lage hat sich dramatisch zugespitzt. Deshalb müssen wir das Virus noch aktiver bekämpfen. Sonst laufen wir in eine Situation hinein, in der wir die Kontrolle über das Virus verlieren.“
Winfried KretschmannWir wollen so weit es nur geht die Kitas und Schulen und die Wirtschaft offen halten.
Schon heute seien auch manche Gesundheitsämter in Deutschland nicht mehr in der Lage, Infektionsketten nachzuverfolgen – trotz Unterstützung etwa durch die Bundeswehr. „Wenn wir die Entwicklung nicht bremsen, sind die Intensivstationen bis zum Nikolaustag voll“, mahnte der Südwest-Regierungschef.
An den Prioritäten in der Krise ließ Kretschmann keinen Zweifel: „Wir wollen so weit es nur geht die Kitas und Schulen und die Wirtschaft offen halten. Das erfordert in anderen Bereichen ein umso entschlosseneres Handeln“, sagte er und listete die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz auf. Er betonte: „Die Einschränkungen, die wir heute beschlossen haben, sind zeitlich befristet.“
Besonders erfreut äußerte sich Kretschmann über die Solidarität der Länderchefs, die längst noch nicht so viele Infektionszahlen in ihren Ländern verzeichnen wie etwa Baden-Württemberg und Bayern. „Es war wirklich beeindruckend, wie schnell wir heute zusammengekommen sind.“ Die Maßnahmen gelten bundesweit. Kretschmann sprach von einer „kollektiven Kraftanstrengung von Bund und Ländern, um gemeinsam eine akute Gesundheitsnotlage abzuwenden“.
Ihm sei klar, dass viele die Einschränkungen als ungerecht empfänden, so Kretschmann. „Mir ist bewusst, dass wir Ihnen mit diesen Maßnahmen sehr viel abverlangen. Wir haben diese Entscheidungen nicht leichtfertig getroffen, wir handeln auf Basis von Fakten, nicht von Emotionen.“
Winfried KretschmannDas Virus fühlt sich dort besonders wohl und breitet sich besonders dort aus, wo wir uns auch besonders wohlfühlen und in geschlossenen Räumen gesellig zusammenkommen.
Er rief die Bürger auf, Kontakte um 75 Prozent zu reduzieren – nicht erst ab Montag, wenn die Einschränkungen greifen, sondern gerade auch schon am Wochenende. Denn: „Das Virus fühlt sich dort besonders wohl und breitet sich besonders dort aus, wo wir uns auch besonders wohlfühlen und in geschlossenen Räumen gesellig zusammenkommen. Deshalb müssen wir diese geselligen Kontakte jetzt einschränken.“ Nur so könne die Infektionswelle gebrochen und Infektionsketten wieder nachvollzogen werden. Das sei in 75 Prozent aller Fälle derzeit nicht mehr möglich.