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Altbauwohnung

Barley weckt Hoffnungen bei Orbáns Gegnern

Budapest / Lesedauer: 4 min

Europa-Spitzenkandidatin der SPD trifft in Ungarn auf eine bedrängte Zivilgesellschaft und Opposition
Veröffentlicht:26.03.2019, 20:46

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So ganz ist das nicht Katarina Barleys Welt: Spät am Abend besucht sie die Redaktion des ungarischen Online-Mediums 444.hu. Die Redaktion ist in einer Altbauwohnung untergekommen, an den Wänden sind die Spuren der Fahrräder zu sehen, die hier tagsüber aufgehängt wurden. Kreuz und quer stehen Schreibtische im Raum, keines der angebotenen Gläser passt zu einem der anderen, die Luft ist zum Schneiden, und mittendrin steht die adrette Frau Ministerin aus Berlin.

Doch so fremd sie hier auch erscheint, für die ungarische Zivilgesellschaft ist Barley genau am richtigen Ort. 444 gehört zu den wenigen Medien in dem Land, die noch frei berichten. Unter erschwerten Bedingungen zwar, aber doch ohne unmittelbaren Einfluss des rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz. Den Reportern ist die Solidarität aus dem Ausland wichtig. Gerade, wenn sie von einer deutschen Spitzenpolitikerin kommt.

Barley ist als Europa-Spitzenkandidatin der SPD nach Ungarn gereist, nicht als Justizministerin, auch wenn ihre Gastgeber sie oft in genau dieser Rolle ansprechen. Ziel von Barleys Reise war es, sich ein Bild von dem zu machen, was unter Viktor Orbán von der Demokratie übrig geblieben ist. Und ihre Gastgeber – Vertreter der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition – haben Barley mit offenen Armen empfangen. „Ihr Besuch ist uns sehr wichtig“, erklärte ihr der stellvertretende Parlamentspräsident (und Parteifreund) István Hiller, und zwar auf deutsch. „Nicht nur der Sozialistischen Partei, sondern der ganzen demokratischen Seite.“ Barley, die Hoffnungsträgerin.

Was sie in Ungarn erfährt, ist das Gegenteil von dem Wohlfühl-Europa, das die SPD am vergangenen Wochenende auf ihrem Europakonvent und in ihrem Wahlwerbespot beschworen hat. Der Spot zeigt küssende Menschen, Sonnenschein und nette Omas. Ungarn aber ist längst nicht mehr die „fröhlichste Baracke des Ostblocks“, als die es noch in den frühen Neunzigern beschrieben wurde. Stattdessen bleiben Aktivisten hier Hintergrundgesprächen fern, wenn auch Journalisten teilnehmen. Vielfach wird die Korruption im Land beklagt, der Abbau von Arbeitnehmerrechten, der Umgang mit der Freiheit.

Umso heller kann Barley strahlen, wenn sie die Werte des Rechtsstaates beschwört. Das hat auch damit zu tun, dass sich die Europäische Volkspartei – und mit ihr CDU und CSU – mit Orbán so schwer tut. Zwar wurde der Ungar unter Schmerzen aus der Parteienfamilie suspendiert, nachdem er mit einer Plakatkampagne den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker verunglimpft hatte. Doch der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber, ein CSU-Mann, will neuer Kommissionspräsident werden – und braucht dafür womöglich auch die Stimmen der Fidesz-Abgeordneten. Barley glaubt deshalb nicht, dass die Suspendierung von Dauer ist.

Angeschlagene Sozialisten

Noch bevor Barley bei 444 vorbeischaut, sitzt sie am Nachmittag mit Genossen der sozialistischen Partei MSZP in einem Tagungsraum auf einem Podium. Die Wand ist dunkel getäfelt, die Decke niedrig, Tageslicht gibt es nicht. Auch hier weckt Barley Hoffnungen. Die MSZP ist noch schwerer angeschlagen als die SPD. In gut einem Jahrzehnt ist sie bei nationalen Wahlen von 43 auf unter zwölf Prozent abgestürzt. Gegen die übermächtige Fidesz hat sie keine Chance – vor diesem Publikum greift Barley dann auch die Europäische Volkspartei an. „Ich kann keine klaren Handlungen erkennen“, sagt sie. „Ich kann lediglich eine Partei erkennen, die sehr nervös ist.“

Die direkte Attacke auf Viktor Orbán meidet sie allerdings. Stattdessen sagt sie das, was sie wohl auch in Deutschland sagen würde. Aus der EU als Wirtschaftsgemeinschaft müsse ein soziales Europa werden. Ganz die deutsche SPD-Wahlkämpferin verspricht sie einen europäischen Mindestlohn, der bei 60 Prozent des jeweiligen Durchschnittseinkommens liegen soll.

Ob das den Orbán-Gegnern reicht, ist fraglich. Die haben es nämlich mit einem mächtigen Gegner zu tun, selbst in der Zivilgesellschaft wird seine Gerissenheit anerkannt: „Alles, was eine Alternative zu Fidesz sein könnte, hat er wie Chaos aussehen lassen“, sagt eine junge Frau. Und sie sagt, dass sie nicht weiß, wie sie Orbán wieder loswerden können. „Wir hoffen auf die Europäische Union.“ Nur ihren Namen, den will sie keinesfalls sagen.