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Jahrespressekonferenz

Am Ende verliert Putin die Geduld

Moskau / Lesedauer: 4 min

Russlands Präsident bei jährlicher Pressekonferenz – Ungehalten bei Fragen zu Nawalny
Veröffentlicht:17.12.2020, 20:30

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Bei seiner Jahrespressekonferenz hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin trotz Gerüchten um seine Gesundheit in guter Verfassung gezeigt. Am Donnerstag präsentierte er auch im Pandemiejahr fabelhafte Zahlen – und verlor am Ende doch die Geduld.

Für manche Dinge fühlt sich Wladimir Putin inzwischen zu alt. So lässt er sich nicht mit dem vaterländischen Covid-19-Impfstoff Sputnik V, impfen, weil dieser nur für Menschen im Alter von 18 bis 60 Jahre geeignet sein soll. „In dem Sinn bin ich ziemlich gesetzestreu, höre auf den Rat der Spezialisten“, erklärte der 68-jährige. Ein paar Stirnfalten und graue Haare mehr hat er, trotzdem wirkte der russische Präsident bei seiner 16. Jahrespressekonferenz gut in Form – auch allen Gerüchten um seinen Gesundheitszustand zum Trotz.

Allerdings war das Ritual auch dieses Jahr maßgeschneidert. Putin beantwortete in seiner Residenz Nowo-Ogarjowo bei Moskau , umgeben nur von den Reportern des loyalen Kremlpools, Online-Fragen von 774 akkreditierten Journalisten. Diese hatten sich in Moskau und acht weiteren Städten versammelt. Die meisten Fragen schienen einer Regie zu folgen. Zwischendurch wurden Wünsche „einfacher Bürger“ verlesen.

Ganz zu Beginn fragte eine Reporterin, wie Putin das zu Ende gehende Jahr bewerte – und gab damit das Stichwort zu seinem traditionell mit Erfolgszahlen gespickten Eingangsstatement. Mit den Jahren sei es wie mit gutem oder schlechtem Wetter. Wegen der Pandemie habe es ein „Meer von Problemen“ gegeben. „Aber wir sind diesen Problemen würdig begegnet, sogar besser als andere Länder, die stolz auf ihre stabile Wirtschaft und ihr Gesundheitssystem sind“, sagte Putin.

So sei das Bruttoinlandsprodukt Russlands nur um 3,6 Prozent gesunken, damit nicht so stark wie in den führenden EU-Staaten. Die Produktion der verarbeitenden Industrie im November habe man sogar um 1,1 Prozent gesteigert, die der Landwirtschaft um 1,8 Prozent. Auch die Reallöhne würden bis zum Ende des Jahres um 1,5 Prozent wachsen.

Auch lobte Putin die Erfolge des russischen Gesundheitssystems. Man habe die Anzahl der Betten für Corona-Patienten von 48 000 auf 277 000 erhöht, die Anzahl der zuständigen Fachärzte von 8300 auf 150 000. Russland sei das erste Land, das Impfstoffe erfunden und produziert habe. Man werde Anfang 2021 Millionen Dosen herstellen. Putin relativierte: Da es an „Eisen“, also Produktionsanlagen für die Vakzinen mangele, müsse man die Hilfe ausländischer Hersteller in Anspruch nehmen.

Kurz darauf wurde der Präsident mit Corona-Klagen des Volkes konfrontiert: Es sei unmöglich, Ärzte nach Hause zu rufen, Notarztwagen erschienen mit einer Woche Verspätung, Mediziner warteten vergeblich auf die ausgelobten Pandemie-Zuschläge. Putin versicherte, man werde auf reagieren. Außerdem habe man schon über umgerechnet 55 Millionen Euro Direkthilfe gezahlt. Einige Fragen beantwortete der Präsident am Donnerstag eher langatmig als scharfzüngig, das Thema des Tages aber nannte er eine „Müllkippe“: Die vom Kreml bislang unkommentierten Enthüllungen über die Verwicklung des Staatssicherheitsdienstes FSB in den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexei Nawalny . Sie seien die „Legalisierung amerikanischer Geheimdienstinfomationen“ und zeigten, dass die US-Sicherheitsorgane Nawalny unterstützten. „Das bedeutet, dass unsere Dienste auf ihn achtgeben müssen. Aber nicht, dass man ihn vergiften muss. Wer braucht ihn denn?“ Nawalnys Trick sei, dass er nun das Staatsoberhaupt beschuldige, um sein eigenes Image aufzubessern.

Putin ließ offen, warum ausgerechnet FSB-Giftstoffexperten Nawalny zur Zeit des Anschlags beschatteten. Und wie üblich nannte er Nawalnys Namen nicht, sondern sprach vom „Patienten einer Berliner Klinik“.

Als ein BBC-Reporter nachhakte, wurde der Staatschef ungehalten. Er warf Deutschland und dem Westen vor, sie ignorierten alle russischen Angebote, im Fall Nawalny gemeinsam zu ermitteln. Und dann wies er jede Mitverantwortung am belasteten Ost-West-Verhältnis von sich. „Im Vergleich zu Euch ist unser Fell wirklich blütenweiß und flauschig“, schimpfe er. Putin reihte Vorwürfe gegen den Westen auf, von der Nato-Osterweiterung über die Krim-Sanktionen bis zum Ausstieg der USA aus mehreren Rüstungskontrollverträgen „Ihr seid doch kluge Leute. Warum haltet ihr uns für Deppen?“