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Aus aller Welt

Wunderbare Melodie

Panorama / Lesedauer: 1 min

Der etwas andere Blick auf aktuelle Ereignisse. Mal lustig und mal frech, mal übertrieben und mal provokant. Aber immer mit einem Funken Wahrheit.
Veröffentlicht:06.09.2021, 05:00

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Ich gendere“, hat kürzlich die hoffnungsvolle Kandidatin einer bedeutenden Partei – die Dame strebt in den Bundestag – zugegeben. Sie wolle nämlich keines der vielen Geschlechter in ihrer Ansprache ausschließen. Das ist erstens aller Ehren wert und zweitens auf der allerhöchsten Höhe der Zeit. Traurigerweise erinnert diese Fortschrittlichkeit wieder einmal an die Versäumnisse der Steinzeit-Literaten. Kein Thomas Mann , kein George Bernard Shaw, kein Karl May, keine Gebrüder Grimm haben auch nur ansatzweise gegendert, ganz zu schweigen von Gaius Julius Caesar oder Aristoteles. Nicht einmal Jean Paul Sartre oder seine Gemahlin Simone de Beauvoir oder ein Kurt Tucholsky waren Genderer, obwohl man ihnen ansonsten kein antiquiertes Weltbild unterstellen sollte. Unzählig sind die Geschlechter, welche so aus den Werken dieser sprachlich Verbohrten dauerhaft ausgeschlossen sind.

Daneben ist ihnen das wunderbar melodiöse grammatikalische Potential dieses Verbs entgangen: Ich gendere, du genderst, er gendert, wir gendern. Ich genderte, sie haben gegendert, wir werden gendern, ihr werdet gegendert haben, sie hätten gegendert, er würde gegendert haben, wenn … Man muss das nur auf der Zunge schmelzen lassen, und schon schlendert es eindeutig in Richtung Lyrik.

Ein uns persönlich bekannter Oberstudienrat a. D. hat allerdings angemerkt, noch nie habe jemand aus seinem Harem auf Gendern reflektiert. Die Damen seien auch so zufrieden. Persönlich werde er nicht zuletzt deshalb keine Genderei betreiben, sondern sich weiter mit der deutschen Sprache begnügen. (vp)