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Plateauberg

Wie die Zukunft der Welt bombensicher im Eis geschützt wird

Spitzbergen / Lesedauer: 7 min

Der womöglich wertvollste Schatz der Welt liegt auf dem arktischen Spitzbergen – In einem riesigen Weltsaatgut-Tresor lagern rund eine Million verschiedene Nutzpflanzensamen – Sie könnten unsere Zukunft sichern
Veröffentlicht:14.12.2018, 16:18

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Mitten im Nordpolarmeer, Jahresdurchschnittstemperatur minus sieben Grad. 2008 wurde hier, im Plateauberg über dem Flughafen des Städtchens Longyearbyen, ein Bunker eröffnet, in dem der womöglich wertvollste Schatz der Menschheit eingelagert ist: Nutzpflanzensaaten aus allen Ecken der Erde. Knapp eine Million Samenproben aus rund 240 Ländern liegen hier. Wobei es jede Samenprobe noch mindestens ein weiteres Mal in einer der weltweit rund 1750 Saatgutbanken gibt – Spitzbergen soll der Zweitwohnsitz für möglichst jede Nutzpflanzensorte der Welt werden. Hier, tief im Berg, sollen sie kosmische Katastrophen, verheerende Kriege oder die Folgen des Klimawandels überstehen.

Der „Weltsaatgut-Tresor“ hat drei Kammern, jede fünf Meter hoch, 9,50 Meter breit und 27 Meter lang, und ist durch einen 120 Meter langen Tunnel mit der Außenwelt verbunden. 60 Meter unterhalb der Bergkuppe, bombensicher. 130 Meter über dem Meer, einiges höher als die schlimmsten Szenarien für den Meeresspiegelanstieg vorhersagen. Der Dauerfrostboden sorgt dafür, dass die Saaten nicht vollends auftauen, sollte einmal der Strom ausfallen, der das Pflanzenarchiv auf minus 18 Grad herunterkühlt. Eigentümer des Bunkers ist Norwegen , das auch die Baukosten von rund neun Millionen US-Dollar getragen hat. Der Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt in Bonn kommt für die laufenden Kosten von rund 250 000 US-Dollar im Jahr auf. Das Nordic Genetic Resource Center (Nordgen) der skandinavischen Länder ist für den Betrieb und die Anlieferung der Samen zuständig.

Verlust der Pflanzenvielfalt schreitet voran

Denn der Verlust der Vielfalt auf unseren Äckern ist keine abstrakte Bedrohung, er schreitet seit vielen Jahrzehnten voran. Die Industrialisierung der Landwirtschaft, Monokulturen oder die agrarische Globalisierung lassen immer mehr Nutzpflanzenarten verschwinden. Im 20. Jahrhundert ging die Anzahl der in den Vereinigten Staaten gängigen Tomatensorten um 80 Prozent zurück, von 408 Sorten im Jahr 1903 auf 79 Sorten im Jahr 1983. Bei Bohnen, Karotten und Zwiebeln liegt die Verlustrate im selben Zeitraum sogar bei mehr als 90 Prozent.

An sich noch kein Problem, findet Cary Fowler , der den Bau des Weltsaatgut-Tresors in seiner Zeit als Leiter des Bonner Crop Trust angestoßen hat: „Dass viele alte durch wenige moderne Sorten ersetzt werden, ist im Großen und Ganzen positiv. Schließlich wollen wir möglichst gute Feldfrüchte ernten.“ Ertragreich, schmackhaft, günstig.

 In der eisigen Einöde von Spitzbergen, jenseits von Kriegen und Katastrophen, sollen die wertvollen Pflanzensamen sicher sein.

Einen Haken allerdings habe die Sache: „Eine moderne Sorte mag besser sein als diejenige, die sie ersetzt – besser für den Bauern“, meint Fowler. „Aber die alte Sorte hat vielleicht eine Eigenschaft, die für uns in Zukunft einmal sehr bedeutsam werden könnte, Hitzebeständigkeit zum Beispiel oder Widerstandskraft gegenüber bestimmten Krankheiten.“ Oder Windfestigkeit, wie im Fall der Bermuda-Bohne, einer recht neuen Mitbewohnerin in der Samen-WG. Seit 2017 ist sie auf Spitzbergen. Sie, die fast Ausgestorbene, die selbst stärksten Tropenstürmen zu widerstehen vermag. Wer weiß, ob sie angesichts des Klimawandels und der häufigeren Extremwetterereignisse nicht irgendwann einmal ihren großen Auftritt haben wird?

15 604 Samenproben aus Deutschland

Für den Erhalt des verbliebenen genetischen Erbes sind in erster Linie die weltweit rund 1750 Saatgutbanken zuständig. Insgesamt werden in diesen Einrichtungen um die sieben Millionen Saatgutproben gelagert. Von ihnen dürften rund 1,5 Millionen einzigartig sein, schätzt Fowler.

Wenn das hinkommt, dann schlummern auf Spitzbergen inzwischen Sicherheitskopien von etwa zwei Dritteln aller Kulturpflanzen. Aus deutschen Saatgutbanken stammen 15 604 verschiedene Samenproben plus, kein Scherz, 715 Saatgutproben der DDR.

Weizen, Gerste, Linsen und Kichererbsen – Samen verschiedenster Nutzpflanzen aus aller Welt sind vertreten.

Spitzbergen ist deshalb so wichtig, weil Genbanken nicht geschützt sind gegen natur- und menschengemachte Katastrophen. Nicaraguas nationale Saatgutbank beispielsweise wurde 1971 durch ein schweres Erdbeben zerstört, das Gegenstück der Philippinen 2006 während eines Taifuns von Wasser und Schlamm geflutet. Als die USA mit ihren Alliierten 2003 im Irak einmarschierten, wurde die nationale Saatgutbank im Bagdader Vorort Abu Ghraib in den Kriegswirren zerstört. Einige Samen konnten irakische Wissenschaftler in Pappkartons außer Landes bringen – in die Saatgutbank von Aleppo, die einige Jahre später dem Krieg in Syrien zum Opfer fiel.

„Genbank-Horrorgeschichten“

Fowler führt eine Liste mit solchen „Genbank-Horrorgeschichten“. Aber noch mehr beunruhigen ihn andere Bedrohungen: Finanzierungsprobleme, Managementfehler, eine zerfallende Infrastruktur. „Einige der 1750 Genbanken sind in einem guten Zustand und viele in einem schlechten“, sagt Å̊slaug Marie Haga , Fowlers Nachfolgerin an der Spitze des Crop Trust. Technisch sei es problemlos möglich, die noch existierende Saatgutvielfalt zu erhalten, ist Haga überzeugt. Und es sei nicht einmal sonderlich kostspielig. Allerdings: „Das Bewahren der Artenvielfalt ist eines jener Projekte mit einem sehr großen Zeithorizont, die angesichts der vielen Krisen, die drängender erscheinen, tendenziell hinten herunterfallen.“ Sie weiß, wovon sie spricht, sie war in Norwegen mehrere Jahre Vorsitzende der Zentrumspartei und leitete drei Ministerien.

Und so kam Cary Fowler irgendwann auf die Idee, einen stillen Ort zu suchen, fernab der Wirren dieser Welt. „Es begann alles mit einem Gespräch, das ich mit dem Direktor der US-Genbank hatte“, erzählt er. „Je länger wir uns unterhielten, desto besser klang die Idee in unseren Ohren.“ Er lacht, als er davon erzählt. Auch aus Vorfreude, er weiß: Wenn er an dieser Stelle des Gründungsmythos angelangt ist, folgt kurz darauf dessen Schlüsselszene.

Die Szene spielt im Büro von Olav Kjørven, damals Staatssekretär im norwegischen Außenministerium. Im September 2004 hatten Fowler und seine Mitstreiter Kjørvens Regierung einen Saatguttresor auf Spitzbergen vorgeschlagen. Kjørven hörte sich Fowlers Präsentation an, regungslos. Dann stellte er ihm zwei Fragen: „Sie sagen also, dass diese Samen die wertvollste natürliche Ressource der Welt sind?“ Das sei wohl so, antwortete Fowler. „Und Sie sagen, Svalbard sei der beste Ort auf der Welt, um sie zu schützen?“ Ja, das sei er. „Nun, wie können wir dann nein sagen?“

500 Jahre sollen Samen überdauern

Dafür, dass der Weltsaatgut-Tresor ein beispielloses Unterfangen war, ging dann alles ziemlich schnell. Im Mai 2006 wurde der Bau genehmigt, ein Jahr später begonnen, am 26. Februar 2008 offiziell eingeweiht. In seinem trockenen, kalten Inneren dürften die meisten Samen problemlos 500 Jahre überdauern, Erbsen gar mehr als 9000 Jahre, Sorghumhirse an die 20 000 Jahre.

In dem Pflanzenarchiv im Bunker werden die Proben bei minus 18 Grad gelagert.

Nur sieben Jahre vergingen, bis der Tresor zum ersten Mal auf die Probe gestellt wurde – durch eben jene zerstörte Genbank in Aleppo: 2015 bat das International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (ICARDA), um einen Teil seiner in Spitzbergen eingelagerten Saaten. Am 23. September jenes Jahres verließen 128 Kisten mit 38 000 Saatgutproben, darunter diverse Sorten Weizen, Gerste, Linsen und Kichererbsen, Spitzbergen – sie gingen nicht nach Aleppo, sondern nach Marokko und in den Libanon, wo das Institut die Pflanzen heranziehen und einen neuen Grundstock für seine Samensammlung legen konnte.

Man müsse sich die Dienstleistung des Tresors wie das Einzahlen und Abheben bei einem Geldinstitut vorstellen, sagt Å̊slaug Marie Haga: „Es funktioniert im Grunde wie ein Schließfach. Was im Saatguttresor liegt, können weder wir von Crop Trust, noch Nordgen, noch die norwegische Regierung anrühren.“ Berechtigt dazu ist allein der Besitzer der Samen.

Weil dieses System sich im Fall des Syrienkrieges so gut bewährt hat, ist Haga zuversichtlich, dass demnächst noch mehr Länder ihre Genschätze in den Weltsaatgut-Tresor einzahlen. Denn einige, darunter Mexiko und China, beteiligen sich noch gar nicht. Andere, wie Japan und Indien, schickten nur einen kleinen Teil ihrer Samen. „Das ist eine Sache des Vertrauens“, sagt Haga.