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Schäfflertanz

Was den Schäfflertanz so besonders macht

München / Lesedauer: 5 min

Alle sieben Jahre ziehen die Schäfflertänzer durch München – Christian Härtl ist der Faszination dieser gelebten Tradition schon lange erlegen
Veröffentlicht:18.01.2019, 14:48

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Eben im Bus, da hat Christian Härtl noch gewirkt wie ein Lehrer auf Klassenfahrt – ein beliebter Lehrer freilich, der mit den Schülern feixt und flachst. Nun aber lächelt der 51-Jährige nicht mehr; vielmehr sind seine Mundwinkel konzentriert hochgezogen, die Augen blicken starr geradeaus, und in den Händen hält er zwei weiß-blaue Holzreifen, darin je ein Schnapsglas – samt hochprozentigem Inhalt. Härtl steht auf einem Fass, um ihn herum bilden zwanzig Männer in Tracht einen Kreis, und um diese wiederum haben sich mehr als hundert Schaulustige versammelt, hier am Platzl in München , direkt vor dem Hofbräuhaus.

Das Wetter ist mit dem Wörtchen widrig noch freundlich umschrieben, der Wind wirbelt Schneeflocken durch die Gassen, die Kälte kriecht durch jeden noch so dicken Mantel – geschweige denn durch die dünnen Jacken, Kniebundhosen und Wollsocken, die Härtl und seine Kollegen tragen. Doch all das kann den Mann auf dem Fass nicht aus der Ruhe bringen, da er nun seine Reifen in Schwung versetzt, sie immer schneller wirbelt, mal vor seinem Körper, mal über seinem Kopf – und bei alledem bleibt der Blick unbeirrt ins Leere gerichtet und der Schnaps in den Gläsern.

Zwischen Dreikönig und Faschingsdienstag

Die Darbietung des Reifenschwingers ist der Höhe- und Schlusspunkt beim Auftritt der Münchner Schäffler, die heuer wieder zwischen Dreikönig und Faschingsdienstag durch die Stadt tanzen – so wie alle sieben Jahre. Das Ganze geht auf eine Legende zurück, deren Wahrheitsgehalt wie bei allen guten Legenden von Historikern bezweifelt wird. Demnach soll im Jahr 1517 die Pest in München gewütet haben, weshalb sich bis auf die Totengräber niemand auf die Straße traute. Ein findiger Schäffler – so werden Fasshersteller in Bayern genannt – kam nun auf die Idee, dem Volk durch ein lustiges Schauspiel die Angst zu nehmen und es wieder nach draußen zu locken. Mit einigen Zunftkollegen soll er durch die Straßen Münchens getanzt und das öffentliche Leben nach der Pest tatsächlich wiederbelebt haben – so die Legende. Als gesichert gilt derweil die erste urkundliche Erwähnung des Schäfflertanzes 1702; seit Mitte des 18. Jahrhunderts findet das Treiben alle sieben Jahre statt – woher dieser zeitliche Abstand rührt, weiß keiner so genau.

Für Christian Härtl jedenfalls ist es heuer bereits der fünfte Schäfflertanz; er gehört damit zu den Routiniers der rund dreißigköpfigen Gruppe. Einst durften ihr ausschließlich Schäffler angehören; inzwischen aber gibt es in ganz München nur noch eine Fassfabrik, sodass der Verein, der diese Tradition pflegt, längst auch Männer anderer Berufe zulässt (nicht jedoch Frauen). „Natürlich gibt‘s bei uns viele Handwerker und etliche, die bei Brauereien arbeiten“, sagt Christian Härtl, der selbst als Gastronom tätig ist. „Aber insgesamt ist es eine sehr bunte Mischung.“ Die freilich eines eint, so Härtl: „Wir sind alle ein bisschen wahnsinnig. Und infiziert vom Schäffler-Fieber.“

Rund 450 Auftritte

Genau das braucht es wohl auch, um eine Tanzsaison durchzustehen: Sind es anfangs bloß eine Handvoll Darbietungen an den Wochenenden, so warten ab dem 25. Januar und bis zum 5. März oft bis zu einem Dutzend Einsätze – pro Tag.

Insgesamt kommt die Gruppe auf rund 450 Auftritte bei Schulen, Firmen, Altenheimen, Gemeinden und Privatpersonen. „Viele von uns nehmen dafür ihren gesamten Jahresurlaub“, erzählt Christian Härtl. „In diesen sechs Wochen steigt man komplett aus dem Alltag aus. Da lebt man wie im Raumschiff.“ Wobei das Raumschiff im Falle der Schäffler ein eigens gecharterter Reisebus ist, der sie von Auftritt zu Auftritt kutschiert – mitunter von sechs Uhr früh bis zehn Uhr abends.

Zu späterer Stunde werde das Gefährt gerne mal zum Partybus umfunktioniert – inklusive Bierkühlschrank und eigenem DJ, verrät Härtl. Entsprechend kurz seien dann die Nächte; dazu kämen die anstrengenden Auftritte, „das eine oder andere Bier“, wie es Härtl verschmitzt formuliert, und eine Ernährung nach dem Motto „Weißwurst-Krapfen-Leberkas-Diät.“ Insofern müsse man während der Saison auf seine Gesundheit achtgeben, sagt Härtl, gerade in seinem Alter. „Mit 24 war mir das egal, da habe ich vierzehn Stunden getanzt und bin danach noch weggegangen. Doch inzwischen schaue ich, dass ich meinen Schlaf kriege – und wenn’s nur zwanzig Minuten im Bus zwischen zwei Auftritten sind.“

Eine Mordsgaudi und ein Wahrzeichen der Stadt

Warum er sich dieses Pensum alle sieben Jahre aufs Neue antue? Da sei zum einen die Tradition, sagt Christian Härtl, der wie viele Tänzer aus München stammt. „Die Schäffler sind hier wahnsinnig beliebt und eine Art Wahrzeichen der Stadt. Das ist eine Ehre, da dabei zu sein.“ Zum anderen verweist der 51-Jährige auf die Kameradschaft: „In sechs Wochen wächst da richtig was zusammen. Und wir haben natürlich auch unsere Gaudi – vor allem, wenn die Bustür zugeht.“

So wahrscheinlich auch nach dem Auftritt am Platzl, wo Christian Härtl seine Reifen inzwischen ausgeschwungen hat. Mit spitzen Fingern lupft er nun das Glas heraus, aus dem auf wundersame Weise kein Tropfen verschütt gegangen ist. Und so kann Härtl seinen Trinkspruch aufsagen, der Menge zuprosten und den Schnaps in einem Zug leeren, ehe er und seine Kollegen kurz darauf wieder im Raumschiff sitzen – auf dem Weg zum nächsten Auftritt.