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Terrormiliz

Verstehen, nachfragen, erklären

Panorama / Lesedauer: 7 min

Vier Medienexperten diskutieren über „Fake News“ – Die „Schwäbische Zeitung“ setzt mit einem Projekt auf Aufklärung in Schulen
Veröffentlicht:18.06.2017, 19:34

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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist zurückgetreten. Während ihrer Amtszeit posierte sie mit einem syrischen Flüchtling, der sich später als Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ herausstellte. Flüchtlinge plündern ein Einkaufszentrum (mal in Dresden, mal in Bremen), Flüchtlinge prügeln sich in der Stadthalle in Bad Waldsee, einer Notunterkunft. Überhaupt ist es vor der eigenen Haustür unsicherer geworden, deswegen verkauft ein großer Discounter nun kugelsichere Westen und Waffenscheine.

Es sind kalkulierte Falschmeldungen wie diese, sogenannte „Fake News“, die in den sozialen Medien wie Facebook eine Gegenöffentlichkeit zu Zeitung, Fernsehen und Radio schaffen. Sie stellen die etablierten Medien vor immer größere Herausforderungen. „Die klassischen Medien haben bei einem Teil der Menschen die Deutungshoheit verloren“, sagt Hendrik Groth, Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“, bei der Diskussionsrunde „Fakten, Fake News, Follower. Nachrichten in einer neuen Zeit“ im Rahmen der Gesprächsreihe „Herausforderung Zukunft“ in Bochum. Neben ihm Christian Sievers, das Gesicht des „heute-journals“, der Deutsche-Presse-Agentur -Chefredakteur Sven Gösmann und Phoenix-Moderator Michael Krons, der auch durch diesen Abend führt.

Für die vier Journalisten gehört die Auseinandersetzung mit „Fake News“ zum Alltagsgeschäft. Die Funktionsweisen der Falschmeldungen sind dabei stets dieselben. Entweder sie werden bewusst gestreut, um eine bestimmte Person oder eine Personengruppe in Misskredit zu bringen. Oder aber es werden Ereignisse in den sozialen Medien wie Facebook aufgeschnappt, dort so weit umgedeutet und weitergesponnen, dass sie mit der Realität nichts mehr zu tun haben. So werden aus Nullmeldungen Übergriffe, Vergewaltigungen, Prügeleien – wie im Falle der Bad Waldseer Unterkunft vom 3. Januar 2016.

„Es gab diesen Großeinsatz in einer Flüchtlingsunterkunft zwar, aber keinerlei Gewalt, keine Massenschlägerei“, veranschaulicht Groth , wie schnell die Deutungshoheit in einigen Fällen entgleiten kann. „Das hat uns die Polizei damals bestätigt. Grund war eine verbale Auseinandersetzung, die jedoch schnell beigelegt wurde. Dennoch warfen uns einige Menschen auf Facebook vor, wir würden etwas verheimlichen.“ Sie hatten die Streifenwagen gesehen und witterten eine Verschwörung. Einige vermuteten gar ein „Meinungskartell“ zwischen „Lügenpresse“ und Behörden, das bestimmte Dinge verschweigt und bewusst unterdrückt. „Sie glauben, die Nato oder Angela Merkel würden uns vorgeben, worüber wir zu berichten haben und worüber nicht.“ Medien, egal ob Zeitung oder öffentlich-rechtliche Sender, seien jedoch unabhängig und völlig frei in der Themenauswahl.

Dennoch sei es schwer, gegen derartige Falschmeldungen anzukommen. Wie sehr Facebook mittlerweile für viele zur Hauptinformationsquelle geworden ist und wie sehr das Vertrauen in die klassischen Medien sinkt, illustriert Michael Krons anhand einer Studie des Bayerischen Rundfunks. „23 Prozent aller Menschen informieren sich ausschließlich über Facebook“, erzählt der Moderator. „33 Prozent der Befragten bemängeln, dass Medien über zu viele Probleme berichten, aber zu wenige Lösungen anbieten.“ Die Studie besagt auch, dass 60 Prozent der Befragten glauben, unerwünscht geltende Meinungen würden in der Berichterstattung ausgeblendet.

Dies sei mitnichten so, beteuert Hendrik Groth: „Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler.“ Einer davon, der als Synonym für das Versagen der Medien steht, ist die Berichterstattung über die Kölner Silvesternacht. Auf der Domplatte wurden zum Jahreswechsel 2015/2016 Hunderte Frauen von nordafrikanischen Flüchtlingen bedrängt und beraubt. „Es wurde viel zu spät darüber berichtet“, räumt Groth ein. „Wir sind vier Tage zu spät in das Thema eingestiegen.“ Man habe zu sehr auf die Aussagen der Polizei vertraut, es sei „eine ruhige Silvesternacht“ gewesen. Auch Christian Sievers übt Manöverkritik. „Das ist eine Kapazitätenfrage. Wir hatten zwei Reporter vor Ort, die beteuert haben, sie hätten von all dem nichts mitbekommen.“ Wäre ein größerer Stab an Journalisten vor Ort gewesen, hätten sich die Ereignisse auch in der Berichterstattung wiedergefunden. Auch für Gösmann haben in diesem Fall „die Alarmsysteme nicht funktioniert“. Überhaupt müsse man häufiger die „Diskussionen im Kleingartenverein und in den Schrebergärten“ aufschnappen, um zu erfahren, was die Menschen wissen wollen.

Dies auszuwählen, ist eine der Hauptaufgaben der Journalisten – jedoch keine einfache. „Wir bekommen am Tag 15 000 verschiedene Nachrichten – in einer ,heute’-Sendung haben wir Platz für vier, manchmal fünf“, sagt der ZDF-Moderator. „Da muss gesiebt werden.“ Daher gehen einer fertigen Sendung oder gedruckten Zeitung viele Diskussionen voraus. „Das ist ein Prozess aus unterschiedlichen Stimmen, die streiten.“ Jeder steht so lange für sein Thema ein, bis ein Konsens gefunden ist. Auch die dpa, für die Korrespondenten an 100 Standorten auf dem gesamten Globus in vier Sprachen berichten, muss sich bei der Auswahl der relevanten Nachrichten beschränken. „Unsere Mitarbeiter werden auf Dinge aufmerksam oder gehen zu Presseterminen. Dann tun sie das, was einen guten Reporter ausmacht: verstehen, nachfragen, erklären.“

Anschließend müssen sich die dpa-Redakteure von der Relevanz einer Nachricht überzeugen. Über den Tag werden somit eine Vielzahl an Meldungen produziert, die über sogenannte „Ticker“ in die Redaktionen der Zeitungen einlaufen, wie auch bei der „ Schwäbischen Zeitung “. Vor Ort filtern die Redakteure dann aus diesen Nachrichten die ihrer Meinung nach wichtigsten. Organisiert ist die dpa übrigens als Genossenschaft. Die 182 deutschen Medienunternehmen, die die Texte und Bilder der Agentur beziehen, gelten zwar als „Kunden“ – jedoch sind sie jeweils mit 1,5 Prozent als Anteilseigner an ihr beteiligt.

Bei einer solchen Informationsflut können Fehler passieren, die jedoch sofort als solche gekennzeichnet werden. „Bei einem falschen Namen oder einem anderen Verlauf einer Geschichte werden falsche Meldungen mit einem sogenannten ,Kill’ markiert. Der größte ,Kill’ in der Geschichte der dpa war eine Todesmeldung zu Nikita Chruschtschow“, erzählt Gösmann. 1962 hatte die Agentur den früheren Regierungschef der Sowjetunion fälschlicherweise für tot erklärt.

Das Eingestehen eigener Verfehlungen oder des Unwissens sei wichtig in der heutigen Zeit, so Gösmann. „Eines unserer beliebtesten Formate ist mittlerweile ,Was wir wissen – und was nicht’.“ Nach bestimmten Ereignissen wird in diesem Format all das zusammengefasst, was bereits bekannt ist, offene Fragen sollen Spekulationen zuvorkommen. „Die Journalisten tun dabei etwas, was sie nicht gerne machen: Sie geben zu, dass sie auch mal etwas nicht wissen.“ Das schaffe Transparenz.

Überhaupt, so der Konsens unter den vier Journalisten, ist Offenheit und der Dialog mit Zuschauern und Lesern wichtig. Den Menschen zu zeigen, wie Redakteure und Reporter arbeiten. „Einigen kritischen Lesern zeige ich die Redaktion und erkläre ihnen unsere Strukturen. Von fünf Skeptikern gelingt es, vier zurückzugewinnen“, erzählt Groth. So könne man jene überzeugen, die dem gedruckten Blatt bislang misstrauten.

„Fake News“ als Konsequenz und Ursache dieses Misstrauens bekämpfe man am besten durch sorgfältiges Prüfen von Ereignissen. Das Nachrichtengeschäft sei durch das Internet schneller geworden, dennoch solle man nicht alles aus dem Netz aufgreifen. „Wir setzen lieber auf gründliche Recherche. Als beim Amoklauf in München am 22. Juli 2016 ein Video der vermeintlichen Schießerei kursierte, haben wir herausgefunden, dass es alte Filmaufnahmen waren.“ Anderswo seien die Bilder als jene vom Amoklauf in München verkauft worden.

Die dpa setzt mittlerweile auf Spezialisten- und Rechercheteams, die „überprüfen und mithilfe von Experten“ den Wahrheitsgehalt einer Nachricht vor ihrer Veröffentlichung verifizieren, wie Sven Gösmann erzählt. Auch Christian Sievers als Stimme der öffentlich-rechtlichen Sender setzt auf Sorgfalt statt Schnelligkeit. „Guter Journalismus braucht Zeit.“

Aber, und da sind sich die vier Journalisten ebenfalls einig, ein Teil der Menschen bleibt weiterhin skeptisch: „Wir dringen mit der Aufklärung bei einigen nicht durch“, weiß Sven Gösmann.

Diese werden auch weiterhin glauben, dass Angela Merkel mit einem Terroristen posierte.