Die Schwäbische Zeitung erschien erstmals am 4. Dezember 1945.
Veröffentlicht: 4. Dezember 2020, 05:00 Uhr Zuletzt aktualisiert: Uhr
Klaus Nachbaur
Redakteur
Ein Foto fehlt auf dieser Titelseite. Und auch die Texte wirken 70 Jahre später befremdlich. Sehr getragen, sehr pathetisch klingt das, was Ernst Trip in seinem Essay zur Lage Deutschlands schreibt.
Aber es klingt auch authentisch, weil es eine schonungslose Analyse dessen bietet, was zwölf Jahre Nazi-Diktatur angerichtet haben. Und es schimmert Hoffnung durch: „Öffnen wir alle Tore nach draußen, nehmen und geben wir im Austausch mit der Welt, von deren lebendigem Geist man uns abschloß, und holen wir unser gehemmtes Wachstum nach.“
Druckgenehmigung auf einem Stück Papier
Es ist der 4. Dezember 1945, ein Dienstag. Die „Schwäbische Zeitung“ erscheint erstmals – in einer Druckauflage von 98.370 Exemplaren. Tags zuvor hat ein französischer Leutnant im Auftrag der Militärregierung formlos auf ein Blatt Papier geschrieben: „Hiermit wird der Firma Schwäbischer Verlag KG die Genehmigung erteilt, die ,Schwäbische Zeitung’ erscheinen zu lassen.“ Da hatten die Verleger den Gesellschaftervertrag bereits unter Dach und Fach.
Der Leutkircher Zeitungsverleger Max Drexler zählte zu den Gründern der erste Stunde. (Foto: Archiv)
Komplementäre der neuen KG waren der Leutkircher Zeitungsverleger Max Drexler, der Friedrichshafener Verleger Othmar Gessler und Wendelin Hecht, der letzte Verlagsleiter der berühmten „Frankfurter Zeitung“, Vorläuferin der heutigen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Täglich erschien die Schwäbische erst 1952
Hecht hatte sich 1943, als die „Frankfurter Zeitung“ auf Befehl Hitlers geschlossen wurde, in seine oberschwäbische Heimat zurückgezogen. Auch die leitenden Gründungsredakteure, Ernst Trip und Johannes Schmid, waren „Frankfurter“. Nebenbei: Dass die „Schwäbische Zeitung“ ihren Namen bis heute in Frakturschrift druckt, ist diesen Wurzeln geschuldet.
Dr. Wendelin Hecht von der „Frankfurter Zeitung“, gehörte zu den Mitbegründern der „Schwäbischen Zeitung“. (Foto: Archiv)
Zwei Ausgaben pro Woche, jeweils dienstags und freitags, mussten damals reichen – Papiermangel. Vom 1. August 1948 bis 30. November 1952 hatten die Leser dann immerhin drei Zeitungen wöchentlich. Eine Tageszeitung im Wortsinn ist die „Schwäbische“ am 1. Dezember 1952 geworden.
Volontär wurde Chefredakteur
Die Besatzungszeit hat die ersten Jahre der Zeitung mitgeprägt. Der im Jahre 2006 verstorbene Mundartdichter und SZ-Redakteur (fast) der ersten Stunde, Rolf Staedele, hat vor 20 Jahren aufgeschrieben, wie er plötzlich vom Volontär zum Chefredakteur befördert wurde.
„Ernst Trip, der intellektuelle Kopf der Redaktion, wurde ohne jede Vorwarnung von den Franzosen verhaftet und ins Lager Balingen gebracht.“ Der Besatzungsmacht hätten offensichtlich kritische Artikel über Deportationen von Deutschen durch die Russen missfallen.
Othmar Gessler gehörte zu den Verlegern, die nach dem Krieg die „Schwäbische Zeitung“ herausgebracht haben. (Foto: Archiv)
Die übrigen Redaktionsmitglieder seien gleichzeitig vom Dienst suspendiert und mit Redaktionsverbot belegt worden. Staedele, der Volontär, war an diesem Tag unterwegs. Er schreibt: „Als ich abends zurückkehrte, wurde ich sofort zum französischen Presse- und Zensuroffizier, Kapitän Adam, zitiert, der mir kalt und trocken eröffnete: ,Herr Trip ist verhaftet, die übrigen Herren sind von ihren Aufgaben suspendiert, Sie, Herr Staedele, sind jetzt Chefredakteur’“.
Kleinanzeigen voller Vermisstenmeldungen
Der Verlagsleiter habe am nächsten Tag eine Notredaktion zusammengebastelt, die das Erscheinen der Zeitung ermöglichte, bis Trip und Schmid nach ein paar Monaten zurückkehren durften.
Die Not der ersten Nachkriegszeit hat nicht nur den redaktionellen Teil der Zeitung geprägt. Wer heute einen Blick in den damaligen Kleinanzeigenteil wirft, der bekommt eine Ahnung davon, wie wertvoll Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens waren. Beispiele: „Tauchsieder, 220 V, abzugeb. gegen Kinderstiefel Gr. 29 bis 30 ...“ oder: „Verloren von Flüchtling gefütterter Herren-Lederhandschuh (rechter) von der Brühlstraße, Engerle, Paradiesgäßle bis Handelshaus Schaal. Abzugeben bei ...“.
Und in jeder Ausgabe der Zeitung fand sich bei den Anzeigen die Rubrik „Suchdienst“. „Welcher Heimkehrer aus Rußland (Mittelabschnitt) kann Auskunft geben über meinen vermißten Sohn Grenadier Josef Kempf? Letzte Post vom 23.6.44. Um frdl. Nachricht bittet ...“.
Auf der anderen Seite fällt ein gewaltiger Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft auf. Knechte, Melker, tüchtige Mädchen „für Haus und Landwirtschaft“ waren offensichtlich sehr gesucht. Auch Handwerker hatten wenig Mühe, eine Stelle zu finden. Dass es insgesamt doch wieder aufwärts gehen sollte, kann man auch aus der Kleinanzeige des „Eheanbahnungs- Instituts“ E. Huttenlauer herauslesen: „Zu deinem schönsten Eheglücke schlägt Huttenlauer schnell die Brücke.“
Seite 1: Die Nürnberger Prozesse gegen NS-Hauptkriegsverbrecher dominieren die Titelseite. Viele der Angeklagten erwartet später die Todesstrafe. (Foto: sz)
Seite 2: Der britische Erzbischof von Canterbury richtet Worte an die Deutschen nach dem Krieg - daneben gibt es Nachrufe und Details zum Verkehr in der Besatzungszone. (Foto: sz)
Seite 3: In Jugoslawien wird der König von Diktator Tito verbannt - in der Region setzt man sich mit dem Ende von Wehrmacht, Krieg und Volkssturm auseinander. (Foto: sz)
Seite 4: Ein Luftangriff auf Peenemünde im Krieg wirft Fragen auf - zur deutschen Geheimwaffe V2. Daneben geht es um den Wiederaufbau von Tettnang. (Foto: sz)
Seite 5: Es gibt Details zur Nürnberger Anklageschrift. (Foto: sz)
Seite 6: Details zur Anklageschrift aus Nürnberg nehmen eine weitere Seite ein. (Foto: sz)
Seite 7: Details zur Anklageschrift aus Nürnberg nehmen eine weitere Seite ein. (Foto: sz)
Seite 8: Es wird regional. Oben wird über Sammelaktionen für Kriegsgefangene und eine antifaschistische Großdemo berichtet - doch auch die Fährverbindung über den Bodensee findet ihren Platz. Unten bleibt Raum für Anzeigen. (Foto: sz)