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Kandidat für zwei Tage

Panorama / Lesedauer: 4 min

NDR zieht Aufstellung von Xavier Naidoo für den Eurovision Song Contest zurück
Veröffentlicht:23.11.2015, 11:41

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Ein Kandidat nur für zwei Tage: Am Wochenende zog der NDR die Aufstellung von Xavier Naidoo als deutscher Teilnehmer für den Eurovision Song Contest (ESC) wieder zurück. Grund war die heftige Kritik an der Entscheidung für den aufgrund zahlreicher kontroversen Aussagen umstrittenen Musiker. Nun steht der Sender vor einem Scherbenhaufen und der Suche nach einem neuen Kandidaten oder Nominierungsverfahren.

Mehrere große Parteitage, Kanzlerin von der Schwesterpartei düpiert und vor allem: Terrorwarnungen in Brüssel – natürlich gibt es an diesem Wochenende weitaus wichtigere Eilmeldungen. Der vom Sender einseitig entschiedene Rückzug Naidoos verbreitete sich aber besonders schnell in den sozialen Netzwerken. Wirklich unerwartet war er nach dem verheerenden Medienecho eigentlich nicht, allenfalls das schnelle Umdenken überraschte dann doch.

ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber nannte als Begründung, man habe nicht mit einer solchen „Wucht der Reaktionen“ gerechnet, was Zweifel an den Recherchekünsten der Fernsehmacher aufkommen ließ – allein ein Blick auf Wikipedia hätte genügt, um einen Eindruck der diversen Kontroversen um Naidoo zu erlangen.

Angesichts der Ablehnung konnte sich der NDR wohl nicht vorstellen, die sechs Monate bis zum Finale des Liedwettbewerbs im kommenden Mai in Stockholm unbeschadet durchzustehen. Denn im Kern ist der ESC natürlich eine herrlich nebensächliche Veranstaltung – ihre Bedeutung und ihren Reiz entfaltet sie aber erst durch die Begeisterung der bunten Fangemeinde. Die ist gerne mal ironisch gebrochen, wenn es um dumpfe Aussagen etwa gegen Homosexuelle geht, ist der Spaß allerdings schnell vorbei.

Naidoos Fürsprecher

Zwar äußerten sich zuletzt auch Fürsprecher Naidoos, darunter der Comedian Michael Mittermeier und der unvermeidliche Til Schweiger, der gewohnt überzogen von „Terrorismus“ sprach. Ihr Argument, Naidoos kritisierte Zitate seien willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen, lief allerdings ins Leere: Denn der Mannheimer redet und singt zwar viel wirres Zeug, das seit 15 Jahren aber immerhin so konsequent, dass es sich dabei keineswegs um Ausrutscher handeln dürfte. Neben Fans seiner Musik machten auch zahlreiche Vertreter aus dem „Lügenpresse“-Lager ihren Unmut über den Rückzug Luft – nach ihrer Lesart hatte hier das System einen weiteren unbequemen Querdenker mundtot gemacht.

Dabei sieht sich Naidoo zwar als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit, ist selber aber schnell mit Anwälten bei der Hand, wenn er kritisiert wird. So drohte er der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich in zahlreichen Projekten gegen Rechtsextremismus einsetzt, mit einer kostenintensiven Abmahnung, nachdem diesem ihm antisemitische Äußerungen vorgeworfen hatte. Die Ausladung seitens des NDR nahm Naidoo dagegen zunächst gelassen; diese sei für ihn „OK“, schrieb er auf Facebook und fügte hinzu: „Meine Leidenschaft für die Musik und mein Einsatz für Liebe, Freiheit, Toleranz und Miteinander wird hierdurch nicht gebremst.“

Nun ist die Geschichte der deutschen ESC-Blamagen um eine weitere Episode reicher. Noch ist offen, wie es weitergeht. Die diesjährige Null-Punkte-Kandidatin Ann Sophie, die nach der Absage von Andreas Kümmert zum Zuge gekommen war, verkündete wohl eher scherzhaft, dass sie auch für Stockholm als Nachrückerin zur Verfügung stehe.

Humorvoll aber im Kern durchaus ernst gemeint ist dagegen die zum Wochenende bereits von 30000Unterstützern gezeichnete Petition, die wilden Punk-Anarchisten „Wolfgang Wendland und die Kassierer“ nach Stockholm zu schicken. Anstatt kurzatmig fast jedes Jahr das Verfahren umzustellen, sollten die Veranstalter endlich einmal einen nachhaltigeren Prozess schaffen. Vorbild könnte hier das schwedische Melodifestivalen sein, bei dem über mehrere Runden der ESC-Beitrag des Landes ermittelt wird, wobei oftmals Nachwuchskünstler das Rennen machen.

In Deutschland kam man dem mit der Raab-Koordination bereits sehr nahe und sollte sich an diesem erfolgreichen Modell langfristig orientieren. Und wenn die Gewinner dann mal zwar hierzulande aber nicht beim ESC-Finale gewinnen können, ist dies auch kein Untergang - schließlich kann man an dem schrillen Spektakel auch unabhängig vom Abschneiden des eigenen Landes seinen Spaß haben, und im nächsten Jahr werde die Karten dann wieder neu gemischt.