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Blauzungenkrankheit

Jenseits des Safari-Tourismus: Affen und Löwen in der Krise

Panorama / Lesedauer: 8 min

Die Corona-Pandemie trifft Afrikas Safari-Industrie mit voller Wucht – und mit ihr die Tiere, Schutzgebiete und Dorfgemeinschaften
Veröffentlicht:25.04.2020, 12:00

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Möge Gott Heilung schicken“, sagt der Massai, „so etwas haben wir noch nie gesehen“. Gerade wird Kenia von einer schweren Heuschreckenplage heimgesucht. Die Hirten klagen über die Blauzungenkrankheit, die ihre Schafe dahinrafft. „Und jetzt die Seuche.“

Ebola, Terror, Finanzkrisen – der Kenia-Tourismus hat schon schlimme Zeiten durchstanden. „Manchmal reisten kaum noch Leute ins Land“, sagt Jackson Looseyia , „dennoch kamen in die Masai Mara immer Touristen. Nun aber sind sie alle fort.“ Wegen der blutigen Anschläge der somalischen Terrormiliz Al-Shabaab und der Angst vor Ebola war der Tourismus in Kenia immer wieder einmal fast zum Erliegen gekommen. Nie aber ließen sich Safari-Begeisterte und Tierfotografen allesamt abschrecken, eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele der Erde zu bestaunen: die große Wanderung der Gnus aus der Serengeti gefolgt von Löwen, Geparden und Hyänen – das ewige Drama vom Fressen und Gefressenwerden. Nirgendwo in Afrika spielt es in solch epischer Dichte wie in der Masai Mara. Nun hat es keine Zuschauer mehr.

„Jetzt sitzen wir zu Hause und sehen nach unseren Kühen“, sagt der Vater von fünf Kindern. „Wir stehen unter Schock.“ Looseyia ist einer der bekanntesten Safari-Guides in Kenia. Kaum jemand kennt die Masai Mara besser als er. Hier ist er geboren und aufgewachsen. Er hat Prominente und Fernsehteams aus aller Welt zu den Raubkatzen der Savanne geführt und war selbst Ansager der BBC-Naturdoku Big Cat Live. Seit fünf Jahren hat Looseyia sein eigenes Zelt-Camp. Das Tangulia Mara beherbergt sonst bis zu 16 Gäste. In der Hauptsaison hat er 30 Einheimische eingestellt. „Jetzt muss ich ihnen die Hälfte vom Lohn kürzen und weiß nicht, wie es weitergeht.“ In seinem Dorf Lemek leben fast alle vom Tourismus. Niemand weiß, wie lange die Pandemie ihr Leben bestimmen wird. „Wenn die Blauzungenkrankheit einem Viehhirten 500 von 1000 Schafen tötet, hat er immer noch die Hälfte. Wer aber vom Tourismus lebt, hat nun gar nichts mehr.“

Sollten durch die Covid-19-Pandemie über viele Wochen oder gar Monate sämtliche Touristen wegbleiben, stünde Looseyia wie viele andere in Kenia vor einem finanziellen Desaster. „Jeder Arbeitsplatz hier versorgt manchmal 20 Personen“, sagt er.

Zunächst hielten viele in Kenia das Coronavirus für eine Krankheit der Weißen. „Erst als die Medien von dem ersten Toten im Land berichteten – ein schwarzer Afrikaner – machte sich plötzlich Angst breit“, sagt Looseyia. Lange schien Afrika auf der Corona-Weltkarte kaum betroffen, während in Asien und Europa die roten Kreise für die Epizentren der Pandemie immer bedrohlicher anschwollen. Einzig eine schnell wachsende Zahl an Fällen in Südafrika begann ab Anfang März auch die Touristiker zu beunruhigen. Einige hatten bis dahin noch immer gehofft, Afrika würde diesmal einigermaßen glimpflich davonkommen. Kaum jemand ahnte bereits im Januar, dass der Safari-Industrie harte Zeiten bevorstehen würden.

„Das Jahr fing für Afrika eigentlich sehr gut an“, sagt Michael Merbeck vom Safari-Veranstalter Abendsonne Afrika. Die Branche verzeichnete in den letzten zehn Jahren teils ein zweistelliges Wachstum. „Für uns ging es sehr steil nach oben“, sagt Merbeck, „und jetzt fahren wir ungebremst gegen die Wand.“ Auch der südafrikanische Naturreise-Veranstalter andBeyond hatte in den letzten Jahren einen stetigen Anstieg an Gästezahlen zu verzeichnen. Seine 28 Lodges im südlichen und östlichen Afrika liegen in bekannten Schutzgebieten wie dem Kruger-Nationalpark, der Serengeti und Botswanas Okavangodelta und verbinden Luxus-Safaris mit engagiertem Naturschutz.

„Eben noch hatten wir Meetings, wie wir unsere Artenschutz-Initiativen ausbauen können“, erzählt Les Carlisle , der Leiter der Naturschutzarbeit von andBeyond. „Jetzt reden wir darüber, wie wir die nächsten zwei Jahre überleben können.“ Als am 15. März Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa den Katastrophenzustand ausrief, war auch den letzten Optimisten klar, dass sich die Pandemie wohl über weite Teile Afrikas ausbreiten würde. Schließlich wurde eine strenge Ausgangssperre bis zum 16. April verhängt, die später bis Ende des Monats verlängert wurde.

Carlisle verfolgt die Situation – vor allem in Südafrikas Townships – mit wachsender Sorge. „Wie sich die Lage dort weiterentwickelt, ist auch für uns entscheidend“, sagt der 60-Jährige aus Mbombela unweit des Kruger-Nationalparks. Noch sind aus den ländlichen Gegenden um die Schutzgebiete nur wenige Fälle bekannt. Sollte sich das Virus jedoch ungehindert in den Slums und Townships ausbreiten, wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben, würde es wohl bald auch die entlegensten Ortschaften im Land erreichen.

Die ersten Coronafälle tauchten in der reichen weißen Oberschicht Südafrikas auf. Schnell war jedoch klar, dass sich das Virus über Hausangestellte, Putzhilfen, Taxifahrer und Supermarktkassierer rasch in die Viertel der Ärmsten übertragen würde. „Das Gesundheitssystem des Landes stieß bereits vor der Pandemie wegen der hohen HIV-Rate des Landes und zahlreichen Tuberkulosekranken mancherorts an seine Grenzen.

Nach Befürchtungen vieler könnte die Pandemie hier durch die soziale Ungleichheit noch dramatischere Folgen haben als etwa in Italien oder Spanien. Ob, wie von vielen erhofft, die deutlich jüngere Bevölkerung einer rasanten Ausbreitung mit hohen Opferzahlen entgegenwirkt, bezweifeln inzwischen viele Virologen. Zuletzt verzeichnete die Johns-Hopkins-Universität 3953 Covid-19-Fälle in Südafrika (Stand 24. April). Inzwischen sollen mehr als 60 Menschen an einer Infektion gestorben sein.

Die offiziellen Fallzahlen in Südafrikas Nachbarländern Namibia, Botswana, Simbabwe und Mosambik werden noch immer im zweistelligen Bereich angegeben. Viele gehen jedoch davon aus, dass die wahren Zahlen deutlich höher liegen. In den auch bei Deutschen beliebten ostafrikanischen Safari-Ländern Kenia, Tansania, Ruanda und Uganda sieht es noch etwas besorgniserregender aus. Mit jeweils mehr als 300 Fällen sind Kenia und Tansania die derzeit am stärksten betroffenen Länder in der ostafrikanischen Region.

Inzwischen sind die Grenzen fast überall für Ausländer geschlossen oder Einreisende werden zu einer Quarantäne zwangsverpflichtet. Die maroden Gesundheitssysteme könnten einer sich ausbreitenden Pandemie sicher nicht viel entgegensetzen. Hilfsorganisationen stellen sich bereits auf das Schlimmste ein. Einige warnen schon jetzt, dass ein wirtschaftlicher Zusammenbruch mit grassierender Armut, Krankheiten und Hunger in Folge mehr Opfer fordern könnte, als das Coronavirus selbst. Für viele Länder im südlichen und östlichen Afrika ist der Naturtourismus eine der größten Devisenquellen und in der Umgebung von Schutzgebieten oft der wichtigste Arbeitgeber. Bleiben Camps und Lodges leer, leiden zuerst die umliegenden Dorfgemeinschaften.

„Der Tourismus ist für die meisten Schutzgebiete überlebenswichtig“, sagt Jamie Gaymer. Der Kenianer ist der Vorsitzende des Verbands für Nashornschutz auf Privat- und Community-Land. Mit Unterstützung der Artenschutz-Organisation Save the Rhino International überwacht er einen großen Teil der Bestände des Landes. Nachdem die Zahl der Tiere durch Wilderei über Jahre in ganz Afrika dramatisch eingebrochen war, wuchs sie in Kenia in den letzten vier Jahren wieder zaghaft. Das Coronavirus könnte nun eine neue Bedrohung darstellen. „Noch gehen wir keinerlei Kompromisse bei den Sicherheitsvorkehrungen ein“, sagt Gaymer, „aber niemand kann sagen, wie lange es so weitergeht.“ Fehlt das Geld für Personal und eine kostspielige Überwachungstechnik, könnte die Wilderei erneut zum Problem werden.

Auch auf andere Arten könnten bedrohliche Zeiten zukommen. In Ruanda und Uganda sorgen sich Naturschützer um die Berggorillas, deren Zahl zuletzt wieder auf etwa 1000 angewachsen ist. „Aufgrund des hohen potenziellen Übertragungsrisikos wurden neben dem Tourismus auch alle Forschungsaktivitäten im Vulkan-Nationalpark eingestellt“, sagt Winnie Eckardt, Primatologin des Dian Fossey Gorilla Funds, „Gorillas gehören zu unseren nächsten Verwandten und sind anfällig für viele Atemwegserkrankungen des Menschen.“ Derzeit sei allerdings noch unklar, ob Covid-19 auch auf Menschenaffen übertragen werden könne. In Südafrika sorgen sich Artenschützer um Löwen, Elefanten und Nashörner. „Die Wilderer kommen genauso wie vor der Krise in den Kruger-Park“, sagt Les Carlisle. Es sei jedoch schwer abzusehen, wie sich die Nachfrage nach Elfenbein und Nashorn durch die weltweite Pandemie auf dem Schwarzmarkt entwickle.

Trotz allem können Naturschützer der Krise zumindest vorerst auch Positives abgewinnen. „Schutzgebiete wie die Serengeti oder der Ngorongoro-Krater, die unter starkem Druck durch den Tourismus stehen, können plötzlich wieder durchatmen“, sagt Carlisle. Er hofft auch, dass der Handel mit Wildtierprodukten durch die Pandemie nun langfristig geächtet wird. Dem Schuppentier, das zuletzt die Aufmerksamkeit der Wissenschaft als möglicher Überträger von Covid-19 auf sich zog, mag dabei eine Schlüsselrolle zukommen. „Es ist das meistgehandelte Wildtier überhaupt“, sagt Carlisle, der dem seltenen Tier ein eigenes Schutzprojekt gewidmet hat. Für die Art könnte Corona gar eine gute Nachricht sein.

Auch Jamie Gaymer kann trotz der Krise Hoffnungsvolles berichten. Erst kürzlich wurde ein Nashornkalb im Ol-Jogi-Reservat geboren, in dem der Artenschützer hauptsächlich arbeitet. Welche Rolle das Coronavirus wohl im Leben des Neugeborenen spielen wird? Einen Namen hat es im Moment noch nicht. „Den vergeben wir immer erst nach drei Monaten“, sagt Gaymer, „dann ist der Nachwuchs nicht mehr so verwundbar und er hat hoffentlich das Gröbste überstanden“.