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Brustprothese

Hexenmeister der Brustprothesen

Marseille / Lesedauer: 3 min

Vier Jahre Haft für Implantate-Betrüger – 5000 Frauen in Deutschland betroffen
Veröffentlicht:10.12.2013, 17:55

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Auf diesen Moment haben sie weltweit mit Spannung und Emotion gewartet, die Opfer im Skandal um die Billig-Brustimplantate der Firma PIP. Als in Marseille nach monatelangem Mammutprozess endlich das erste Strafurteil in der Sache fällt, macht sich bei den anwesenden Klägerinnen Erleichterung breit. Der Hauptangeklagte, Firmengründer Jean-Claude Mas, bleibt dagegen regungslos. Schweigend nimmt er den Richterspruch zur Kenntnis: Vier Jahre Haft, 75.000 Euro Geldstrafe und Berufsverbot. Verurteilt werden auch vier einstige PIP-Angestellte.

Mas und seine Mitarbeiter hätten sich der „schweren Täuschung“ und des „Betrugs“ schuldig gemacht, begründeten die Richter ihr Urteil. Der Chef der inzwischen Konkurs gegangenen Firma habe Gesundheitsbehörden und Verbraucher belogen und falsche Angaben über das Gel gemacht, mit denen PIP an seinem südfranzösischen Firmensitz über Jahre hinweg seine Brustprothesen füllen ließ. Statt des zugelassenen Produkts hatte Mas hausgemachtes, billiges Industrie-Silikon verwendet. Das hatte der Angeklagte im Prozess auch zugegeben.

„Weder giftig noch gefährlich“

Allerdings besteht der heute 74-Jährige weiterhin darauf, dass dieses Gel „weder giftig noch gefährlich“ sei. Sein Anwalt, Yves Haddad , kündigte daher umgehend Berufung an. Zwar sei es richtig, dass Mas verurteilt worden sei, sagte er, das Strafmaß aber sei „exzessiv“. „Es ist bis heute nicht erwiesen, dass das verwendete Gel eine Gefahr für die Gesundheit darstellt“, erklärte Haddad. Aufgrund der Rechtsmittel und weil das Gericht keine sofortige Vollstreckung der Haftstrafe anordnete, bleibt Mas vorläufig auf freiem Fuß.

Die Vorsitzende der Marseiller Opfervereinigung, Alexandra Blachère, zeigte sich zwar enttäuscht, dass Mas nicht direkt hinter Gitter musste, begrüßte aber, dass es „endlich eine Verurteilung“ gebe. „Die Opfer sind erleichtert“, sagte Kläger-Anwalt Philippe Courtois. „Sie wurden vom Gericht als Geschädigte anerkannt, und die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen.“ Von einem „ersten Schritt“ sprach auch Joëlle Manighetti, auch wenn sie das Strafmaß im Vergleich mit dem, was die Opfer erleiden, „bescheiden“ findet: „Wir haben lebenslänglich!“

Eine Geschichte des Grauens

Wie die 57-Jährige haben zahllose Betroffenen eine Geschichte des Grauens hinter sich: Erst die Brustkrebs-Diagnose und -operation, dann das PIP-Implantat und schließlich die Nachricht, dass das Kissen gefährlich sein könnte, gefolgt von einer erneuten Operation. Nachdem die Prothesen bei zahlreichen Betroffenen gerissen waren, hatten die Behörden ein vorsorgliches Herausoperieren empfohlen. Allein in Deutschland und Frankreich folgten rund 20.000 Frauen diesem Rat.

Weltweit hatte PIP Hunderttausende dieser minderwertigen Implantate verkauft. 80 Prozent der Produktion gingen ins Ausland, in Deutschland ließen sich etwa 5000 Frauen PIP-Prothesen einsetzen. Der Schwindel flog erst 2010 auf, als die ersten Frauen über Beschwerden und Schmerzen klagten. Die Hunderttausenden Opfer und zerstörten Leben weltweit hatten den Strafprozess in Marseille zu einer regelrechten Mammutveransteltung gemacht, mit über 7000 Klägerinnen, 300 Anwälten und fünf Angeklagten. Als „Hexenmeister der Prothesen“ hatte der Staatsanwalt Firmengründer Mas bezeichnet.

Mitschuld für TÜV Rheinland

Doch war der Prozess nur der erste Teil. Derzeit laufen gegen Mas noch weitere Verfahren – wegen fahrlässiger Körperverletzung und betrügerischen Bankrotts. Erst vor wenigen Wochen waren in dem Skandal die Zivilurteile ergangen. Dabei hatte ein Handelsgericht in Toulon erstmals dem TÜV Rheinland eine Mitschuld zugewiesen, der die PIP-Produkte europaweit zertifiziert hatte. Weil dieser seine „Verpflichtung zur Kontrolle und Wachsamkeit“ verletzt habe, wurde er zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt.

Der deutsche Prüfdienstleister sieht sich dagegen selbst als Opfer und will gegen das Zivil-Urteil vorgehen. Während er in Toulon auf der Anklagebank saß, trat der TÜV in Marseille auch auf der Seite der Geschädigten, als Nebenkläger auf. Ein Konzernsprecher zeigte sich daher „sehr zufrieden“ mit dem Richterspruch von Marseille.