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Söhnchen

Ihr Verbrechen war ihre Hautfarbe

Wien / Lesedauer: 4 min

Ungarns Justiz geht gegen Rassismus vor – Dreimal Lebenslänglich für drei Roma-Morde
Veröffentlicht:06.08.2013, 19:00

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Robert Csorba und sein Söhnchen liefen direkt ins Gewehrfeuer. Nachdem die Täter im Februar 2009 sein Häuschen im Dorf Tatarszentgyörgy, unweit der Hauptstadt Budapest, in Brand gesetzt hatten, legten sie sich auf die Lauer. Als der 27-jährige Familienvater, seinen vierjährigen Buben unter dem Arm, aus dem Haus stürmte, fielen beide, tödlich getroffen, in den Staub. Csorbas hinterher laufende Frau und zwei weitere Kinder überlebten mit zum Teil schweren Schussverletzungen.

„Ihr Verbrechen war ihre Hautfarbe“, stand auf einem Transparent von Demonstranten, die gestern vor dem Budapester Bezirksgericht in Erwartung einer Verurteilung der Täter aufmarschiert waren.

Die Brüder Arpad und Istvan Kiss sowie ihr Kumpan Zsolt Peto erhielten jeweils lebenslange Gefängnisstrafen. Ein weiterer Mittäter, der als Chauffeur fungierende Istvan Csontos, muss für 13 Jahre hinter Gitter. Bei ähnlichen Überfällen verübte das Quartett weitere vier Morde an Roma, die sie sämtlich in den Jahren 2008 und 2009 begangen hatten. Laut Anklageschrift feuerten die Mörder, zur Tatzeit zwischen 28 und 42 Jahre alt, auf ihre Opfer insgesamt 80 Schüsse ab, mit Dutzenden Molotowcocktails brannten sie deren meist ärmliche Behausungen nieder.

Prozess von politischer Brisanz

Der Prozess, der fast zweieinhalb Jahre dauerte, ist von hochpolitischer Brisanz. Die Täter standen der faschistoide Ungarische Garde nahe. Das ist der schlagende Arm der rechtsextremen „Jobbik“, mittlerweile die drittstärkste Partei Ungarns. Die paramilitärisch ausgerüstete Bande junger Männer, die im Sommer 2007 aus der Taufe gehoben wurde, hatte damals ihre erste Mobbing-Aktion gegen die Roma in Tatarszentgyörgy gestartet. Eine geradezu landesweite pogromartige Stimmung erfasste das ganze Land. Dutzende Roma-Siedlungen, vorwiegend in abgeschiedener ländlicher Region, wurden von bewaffneten Horden umstellt und die Bewohner terrorisiert. Der 34-jährige Garde-Anführer Gabor Vona sprach von „Bürgerkrieg gegen die Zigeuner“ und warf der Polizei vor, gegen die „wachsende Zigeunerkriminalität“ zu versagen. Auch die vier verurteilten Täter – nur der Fahrer Csontos bekannte sich schuldig – warfen im Prozess dem Staat vor, „seine Pflicht“ nicht zu tun, weshalb Leute wie er die Bevölkerung „beschützen“ müssten.

Der Mordprozess galt als Testfall für die ungarische Justiz, wie sie mit derlei Verbrechen umgeht. Gerechtigkeit für Roma – das ist in einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung gegenüber Zigeunern feindselig eingestellt sind, keine Selbstverständlichkeit. Auch im Fall Tatarszentgyörgy versuchte die Polizei, die Tatsachen zu vertuschen. So behaupteten die Ermittler zunächst in kaum zu überbietendem Zynismus, Csorba und sein Söhnchen wären an einer Rauchvergiftung gestorben, obwohl die Schussverletzungen nicht zu übersehen waren. Oder man ortete die Täter bei der Zigeunermafia – gemeint sind Kredithaie, die säumigen Kunden Schläger schicken.

Rassismus an der Tagesordnung

Rassismus ist in Ungarn nachgerade institutionalisiert. Erst auf Protest von Menschenrechtsorganisationen im In- und Ausland sah sich die damalige sozialliberale Regierung genötigt, mehr Druck auf die Ermittlungsbehörden auszuüben. Von nun an arbeitete die Polizei professionell, die Täter wurden rund ein halbes Jahr später in der ostungarischen Provinzmetropole Debrecen festgenommen.

Für Premier Viktor Orbán, zugleich Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz, ist die Verurteilung der Täter von Tatarszentgyörgy von Bedeutung. Jetzt kann er seinen Kritikern in den EU-Partnerländern beweisen, dass die ungarische Justiz sehr wohl gegen Rassismus vorgehe.

Doch ein aktuelles Beispiel spricht eine andere Sprache. So fand die von Fidesz regierte nordungarische Stadt Ozd offenbar nichts dabei, der Roma-Siedlung am Stadtrand trotz 37 Grad im Schatten das Wasser abzudrehen. Die Zigeuner würden zu viel davon verschwenden, und die Stadt habe kein Geld. Doch das ist eine Ausrede: Vertreter der örtlichen Opposition wiesen darauf hin, dass die Schweizer Regierung der Stadt 6,3 Millionen Franken eigens für die Wasserversorgung des Roma-Viertels gespendet hat. Fragt sich nur, wohin das Geld ge flossen ist.