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Jammerbucht

Auch im Norden Dänemarks ist das Glück zu Hause

Skallerup / Lesedauer: 5 min

Im Norden Jütlands zeigt sich Dänemark gemütlich und wild zugleich. Und zu jammern gibt es in der Jammerbucht schon gleich gar nichts.
Veröffentlicht:26.07.2018, 14:34

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Im Norden Jütlands zeigt sich Dänemark gemütlich und wild zugleich. Und zu jammern gibt es in der Jammerbucht schon gleich gar nichts.

Wie ein Ausrufezeichen steht er da am Horizont, wie eine stumme Aufforderung, näherzukommen. Und das tun fast alle, die hier im Norden Jütlands unterwegs sind und ihn zufällig entdecken oder gezielt ansteuern: den Leuchtturm Rubjerg Knude. Ein Wanderpfad führt hinauf zu dem alten Knaben, der schon etwas ramponiert und bedrohlich nahe an der Steilküste steht, umgeben von einer der größten Sanddünen Europas.

Es wird wohl ein Abschiedsbesuch werden. Denn in zwei, drei Jahren, so erzählt unser Guide Jakob Kofoed , wird der gut 100 Jahre alte Leuchtturm in die Nordsee stürzen. Vor Jahren hatte die Düne den 23 Meter hohen Turm und ein paar Häuser drumherum schon fast verschluckt, seit 1968 leuchtet er schon nicht mehr. Das kleine, liebevoll ausgestattete Museum wurde deshalb ins Hinterland verlegt. Aber dann änderte die Düne aus unerfindlichen Gründen ihre Richtung, der Wind bläst den gelben Sand nun stramm in Richtung Landesinnere, unaufhaltsam und schneller als gedacht. Ein Naturphänomen, das nicht nur Geologen aus aller Welt fasziniert.

Jakob kommt schon fast sein ganzes Leben lang hierher, er kennt den Turm und die Düne seit Kindertagen. Sollte man ihn nicht retten und woanders aufbauen, wie es manche vorschlagen? Der 60-jährige Däne lächelt ein wenig wehmütig. Er würde der Natur lieber ihren Lauf lassen, befürchtet aber: „Sie werden ihn wohl aus Sicherheitsgründen zerstören.“ Dann wird Nordjütland definitiv um ein Wahrzeichen und Postkartenmotiv ärmer sein. Aber das ist wohl die Botschaft, hinter die Rubjerg Knude sein Ausrufezeichen setzt: Wind und Meer sind es, die hier oben regieren, schon immer. Egal ob in den grünen Ebenen dahinter Wikinger ihre Schwerter schwingen oder Hightech-Windräder friedlich mit den langen Armen rudern.

Eintauchen in die Stille

Und wer nach Dänemark reist, der will genau das: Wind und Meer, Wolken und Wellen. Und meist auch: ein gemütliches Ferienhäuschen in den Dünen, wo man sich in die Stille fallen lassen kann wie in eine weiche Daunendecke. Ahhh. Wo höchstens mal ein paar Wanderer auf dem Kiesweg vor dem Haus vorbeiknirschen, das Meer gleichmütig rauscht und die rosafarbenen Klitrosen in den mannshohen Büschen stillvergnügt vor sich hinblühen. Dazu eine Tasse Tee und ein Stück Kringle, klebrig-süßen dänischen Kuchen. Moment mal, ist das nun diese vielbeschworene Hygge? Jenes spezielle dänische Glücksgefühl? Wenn ja – es funktioniert!

In früheren Zeiten, bevor die Urlauber kamen, um Dünen und Strände zu erobern, scheint in diesem Landstrich das Glück nicht unbedingt zu Hause gewesen zu sein. Das belegt schon der Name Jammerbucht, in der viele Schiffe gestrandet und eine Menge Seeleute ertrunken sind, wie die Legende weiß. Heute ist der harte Job der Küstenfischer für manche Einheimische nur noch ein Hobby, das neben einer frischen Brise auch ein Hauch Nostalgie umweht. Zu besichtigen auch im winzigen Museum von Slettestrand, gleich neben einer kleinen Werft, in der es durchdringend nach Holz und Leim riecht. Ein paar Männer werkeln hier am Gerippe eines neuen Kutters, wortkarg wie die alten Wikinger.

Malerisch liegen ein paar der Fischkutter im Sand von Slettestrand, gerade so, als wären sie gestrandet und vergessen worden. Aber das sind sie nicht, es gibt hier nur keine Häfen, in denen sie anlegen könnten. Dafür aber 55 Kilometer breite, weiße Strände, auf denen jede Menge Platz ist für Spaziergänger, Surfer, Autos, Hunde – da sind die Dänen entspannt. Gelegentlich fahren die Boote von hier aus hinaus wie früher, und müssen bei ihrer Rückkehr dann per Seilwinde wieder auf den Strand gezogen werden, mit ein paar Kisten „frisk fisk“, frischen Fisch, an Bord. Ein Spektakel, das die tiefenentspannten Urlauber gerne verfolgen, hier wie auch in Thorup Strand, Lokken oder Stenbjerg.

Ferienanlage mit Geschichte

Früher oder später führen am oberen Ende Dänemarks alle Wege ans Meer. Und manchmal führen sie die deutschen Gäste, die die rund fünf Stunden Autofahrt von der dänischen Grenze über Aarhus und Aalborg hinter sich gebracht haben, auch ein Stück weit zurück in die eigene Geschichte. Im Feriencenter Skallerup Seaside Resort zum Beispiel, das seit Jahrzehnten Feriengäste beherbergt und mit Schwimmbad, Spa, Bowlingbahn, Supermarkt und Kinderparadies alles bietet, was Urlauber wünschen.

Die ersten Bewohner, die hier 1946 ankamen, dachten allerdings nicht an Entspannung am Meer, sondern ans schiere Überleben. Es waren deutsche Flüchtlinge, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus Pommern, Ost- und Westpreussen vor der Roten Armee über die Ostsee geflüchtet waren und in unzähligen Lagern in Dänemark interniert wurden. So auch in den Dünen von Skallerup Klit an der dänischen Nordsee. „Es war ein Reservelager“, wie Kirsten Jensen vom Seaside Resort erklärt. Später wurde daraus eine erste einfache Feriensiedlung.

Eine der 150 einfachen Waldarbeiterhütten, in der damals jeweils etwa 25 Leute hausten, steht noch: Baracke Nr. 66. Das rot gestrichene Holzhäuschen beherbergt heute ein kleines Museum. Schmale Stockbetten mit kratzigen Seetang-Matratzen, Schwarz-Weiß-Bilder von Kindern hinter Stacheldraht an den Wänden, Stahlhelme, die zu Nachttöpfen umfunktioniert wurden – das karge Leben derer, die alles verloren hatten, wird beklemmend greifbar. Und es scheint unendlich weit entfernt von den modernen, großzügigen Ferienhäusern mit Designerlampen, Sauna, Whirlpool und WLAN, in denen sich die Besucher von heute so hyggelig fühlen. Und manchmal auch sehr dankbar.