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Antibiotika-Forschung lohnt sich nicht

Panorama / Lesedauer: 4 min

Pharmafirmen verdienen mit neuen Medikamenten in diesem Segment kaum noch Geld und haben die Entwicklung größtenteils aufgegeben
Veröffentlicht:06.04.2017, 19:34

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Sie gelten als das goldene Zeitalter der Antibiotika-Forschung: die 1980er- und 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Allein in Deutschland sind in diesen beiden Dekaden 42 neue Antibiotika auf den Markt gekommen. Von den weltweit 50 größten Pharmafirmen unterhielten nicht weniger als 18 eine große Antibiotika-Forschungsabteilung.

Doch seitdem herrscht Flaute. Zwischen 2001 und 2010 schafften es lediglich acht Antibiotika-Medikamente auf den Markt, und von den 50größten Pharmafirmen engagieren sich nur noch sechs in der Antiinfektiva-Forschung.

Die Gründe dafür sind vielfältig, lassen sich aus Sicht von Big Pharma, wie die großen Arzneimittelkonzerne auch genannt werden, aber auf einen einfachen Nenner bringen: Es gibt für Antibiotika aktuell kein funktionierendes Geschäftsmodell. Oder anders ausgedrückt: Die Entwicklung neuer Antibiotika lohnt sich wirtschaftlich nicht.

Das hat viel mit den Besonderheiten von Antibiotika zu tun. Die Medikamente werden entwickelt, um sie nach Möglichkeit nicht oder nur sparsam einzusetzen. Je mehr man von den Wirkstoffen den Patienten verabreicht, desto schneller entwickeln die zu bekämpfenden Keime Resistenzen. Zudem werden Antibiotika nur über einen relativ kurzen Zeitraum beim Patienten eingesetzt. Während die meisten Antibiotika nur über Tage eingenommen werden, werden Cholesterinsenker mitunter ein Leben lang verschrieben. Das macht es für Pharmafirmen per se unattraktiv, in diesem Feld zu investieren. Sie konzentrieren sich lieber auf chronische Krankheiten.

Tödlicher Irrtum

Darüber hinaus sind klinische Studien in der Antibiotika-Forschung sehr aufwendig. „Sie wollen mit der Verabreichung von Antibiotika Lebewesen töten, müssen sie aber Lebewesen – sprich, dem Menschen – verabreichen. Feuer und Dampf sind wunderbare Mittel, um Bakterien den Garaus zu machen, doch damit ist der Patient auch tot“, umreißt Jochen Maas , Leiter Forschung und Entwicklung von Sanofi in Deutschland, die Schwierigkeiten. Bei Notfall-Antibiotika wie Colestin ist die tödliche Dosis für einen Menschen nur wenig höher als die therapeutische Dosis.

Doch der Hauptgrund für die aktuell überschaubaren Forschungsaktivitäten, so Maas, sei die Fehleinschätzung der Wissenschaft gewesen, Infektionskrankheiten im Griff zu haben. Dieser Trugschluss erweist sich als fatal und äußert sich im Vordringen resistenter Keime und der Rückkehr von als bereits besiegt geglaubter Infektionskrankheiten wie Lepra oder Tuberkulose. „Das mit Abstand größte Problem sind resistente Hospitalkeime“, sagt Werner Lanthaler , Chef des Hamburger Biotech-Unternehmens Evotec, das aktuell vier große Antibiotika-Forschungsprojekte verfolgt.

Die Problematik ist inzwischen in der Gesellschaft angekommen – nicht zuletzt wegen warnender Stimmen aus der Wissenschaft. Forscher befürchten, dass sich das Problem resistenter Keime potenzieren und negativ auf die Lebenserwartung der Menschen auswirken könnte. Sanofi-Entwicklungschef Maas fordert deshalb, die Rahmenbedingungen für die Antibiotika-Forschung der neuen Bedrohung anzupassen.

Neue Anreizsysteme

„Was wir brauchen sind neue Anreizsysteme. Das können höhere Preise, längere Patentlaufzeiten oder öffentliche Zuschüsse sein“, fordert Maas, dessen Arbeitgeber Sanofi als einer der wenigen Big-Pharma-Vertreter nach wie vor im Bereich Antiinfektiva forscht. Und Morris Hosseini vom Beratungsunternehmen Roland Berger prangert die einseitig auf niedrige Preise fixierte Ausschreibungspraxis der Krankenkassen und Krankenhäuser an.

Dass Sanofi in dem für viele Wettbewerber unattraktiven Forschungsfeld trotzdem engagiert bleibt, begründet Maas damit, unbedingt die Forschungsaktivitäten mit Naturwirkstoffen aufrechterhalten zu wollen. Die Antibiotika-Forschung betreibt der Konzern inzwischen aber nicht mehr allein, sondern zusammen mit dem Fraunhofer Institut. Früher wurden solche Kooperationen kritisch gesehen, heute ziehen beide Seiten an einem Strang. „Wir stellen den Forschern vom Fraunhofer Institut unsere Stammsammlung von 130000 Organismen zur Verfügung und dürfen im Gegenzug die Ergebnisse aus den Forschungsaktivitäten wirtschaftlich nutzen“, erklärt Maas das Geschäftsmodell.

Darüber hinaus forscht Sanofi mithilfe von Termiten an neuen Antibiotika. Die Insekten haben kein eigenes Immunsystem und wehren sich bei einem Angriff durch Keime und Bakterien, indem sie Antibiotika produzieren.

Auch der Evotec-Chef beobachtet eine Verschiebung der Antibiotika-Forschung von den großen Pharmakonzernen hin zu kleineren Biotech-Firmen und akademischen Forschungskooperationen. „Wirtschaftlich möglich gemacht wird das mithilfe des finanziellen Engagements von Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen wie der Bill and Melinda Gates Foundation, die Millionen in die Antibiotika-Forschung investieren“, erklärt Lanthaler und fügt hinzu, dass man bei großen gesellschaftlichen Problemen nicht alles dem Profitstreben unterwerfen dürfe.