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Tretboot

Wer hat dem Schluchsee das Wasser geklaut?

Schluchsee / Lesedauer: 4 min

Der zunehmende Energiehunger in der Bevölkerung lässt auch außerhalb der Badesaison Gäste an den See kommen - und staunen.
Veröffentlicht:22.03.2014, 14:25

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Es ist ein bizarres Bild. Wo im Sommer Touristen auf Tretbooten oder planschende Badegäste ihren Spaß haben, spazieren nun neugierige Menschen über Geröll oder klettern auf Felsbrocken. Wo mal Wasser war, ist jetzt Sand. Manche zücken ihren Fotoapparat, andere trauen ihren Augen kaum. Kinder fragen staunend ihre Eltern, wer das Wasser des größten Sees im Schwarzwald geklaut hat. Es scheint, als würde die Frühjahrssonne den Schluchsee austrocknen. Oder hat jemand den Stöpsel gezogen?

Darüber kann Peter Steinbeck nur herzlich lachen. Sein Arbeitgeber ist schuld am niedrigen Wasserstand. Denn die Schluchseewerk AG aus dem badischen Laufenburg (Kreis Waldshut) nutzt den Stausee zur Energiegewinnung. Strom produziert werden kann nämlich nur, wenn dem See Wasser abgezapft wird. „Vor allem im Winter wird tendenziell mehr Strom benötigt“, erklärt Steinbeck. Und weil in den Wintermonaten beispielsweise weniger Sonnenenergie gewonnen werden kann, müsse man eben Wasser abzapfen. Steinbeck spricht deshalb vom Energiesee.

Durch Rohre und Stollen unter der Erde wird das Seewasser ins Tal geleitet. In jeder Sekunde bis zu 80.000 Liter. Dabei passiert es drei Kraftwerke, in denen das Wasser durch Turbinen schießt. Rund 30.000 Haushalte werden so mit Strom versorgt. Wenn andere Kraftwerke gerade viel Strom ins Netz speisen und dieser nicht gebraucht wird, wird Wasser zurück in den See gepumpt. „Das passiert meistens nachts oder an Wochenenden“, sagt Steinbeck. Pro Sekunde gut 40.000 Liter.

Altes Schulgebäude tauchte wieder auf

Im Schluchsee war zuletzt so wenig Wasser, dass sogar ein altes Schulgebäude wieder auftauchte. „Zumindest die Grundmauern hat man gesehen“, sagt Andreas Schmidt , der beim Schluchseewerk als Vermessungsingenieur arbeitet. Die Dorfschule des Ortsteils Aha musste 1931 den Fluten weichen, als der See aufgestaut wurde.

Daneben versank noch ein alter Bauernhof. „Eine Kapelle hat man damals extra abgebaut und an höherer Stelle wieder aufgebaut“, sagt Schmidt. Normalerweise reicht das Wasser auf einer Höhe von 930 Metern über Normalnull an die Ufer. Dann ist das Gewässer mit rund 100 Millionen Kubikmeter Wasser gefüllt. Derzeit liegt der Pegelstand gut zehn Meter darunter. Doch der See war auch schon so gut wie leer.

Das war vor mehr als 30 Jahren, als das Wasser nahezu komplett abgelassen wurde. „Damals wegen Wartungsarbeiten an der Staumauer“, sagt Schmidt. Auch die riesigen Auslaufrohre mussten kontrolliert werden. Das freigelegte Seebett glich einer Mondlandschaft. Schlamm, Algen und Geröll überall.

Zehntausende Menschen pilgerten im September 1983 in den Hochschwarzwald, um sich das Spektakel von nahem anzusehen. Fotos aus dieser Zeit zeigen Menschen, die durch das Seebett spazieren oder gesunkene Kajaks betrachten. „Damals wurde auch Weltkriegsmunition gefunden“, erinnert sich Schmidt. Aber auch Ski. Schließlich befindet sich der See nur wenige Meter von der nächsten Loipe entfernt.

„Bringt den ein oder anderen Gast“

Schluchsees Bürgermeister Jürgen Kaiser (parteilos) sieht den neuen Pegelstand pragmatisch: „Das wenige Wasser bringt uns den ein oder anderen Gast in die Gemeinde.“ Außerhalb der Badesaison dürfte die Tagesgäste kaum jemand aus der 2400-Einwohner-Gemeinde verschmähen. Viele Touristen liefen nicht auf den Wegen entlang des Sees, sondern gehen auf Entdeckungstouren. „Vor allem Tagesgäste aus der Region kommen her und schauen sich den See an“, erzählt Kaiser. So viele Menschen wie 1983 seien es aber nicht. „Wir müssen immer mit Wasserschwankungen rechnen“, sagt das Gemeindeoberhaupt.

Die Einwohner scheinen sich mit den unterschiedlichen Pegelständen abzufinden. Trotzdem bekommen die Verantwortlichen der Schluchseewerk AG immer wieder Post. „Einmal haben wir innerhalb kürzester Zeit zwei Briefe bekommen“, erzählt Schmidt. Der eine Verfasser habe mehr Wasser gefordert, der andere weniger. „Wirklich recht machen kann man es halt niemandem.“

Des Dorffriedens wegen hat sich das Schluchseewerk auf die Flagge geschrieben, bis Pfingsten den See wieder aufzufüllen. Schließlich lebt die Gemeinde nicht vom niedrigen Pegelstand des Sees. Nach und nach wird nun deswegen Wasser aus dem Rhein hoch in den See gepumpt. Gebirgsbäche voll mit Schmelzwasser helfen dabei. Denn in einigen Wochen sollen sich auf dem Wasser wieder Badegäste und Boote tummeln.