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Königsklasse

Vierte Runde für die „Königsklasse“

Herrenchiemsee / Lesedauer: 4 min

Auf Herrenchiemsee geht die „Königsklasse“ der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in die vierte Runde
Veröffentlicht:17.06.2018, 17:55

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Eigentlich möchte man gleich im ersten Raum bleiben, so dermaßen gut riecht es hier. Und die Rezeptur ist denkbar simpel, wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand mittlerweile Boutiquen und Kaufhäuser beduftet werden, um uns übers Unterbewusstsein zu ködern. Der nahe Biberach arbeitende Wolfgang Laib hat solchen Firlefanz gar nicht nötig, denn bei allem, was unter seinen Händen zu Kunst wird, setzt er auf die Natur. Vor zwei Jahren war es noch ein Teppich aus hellgelben Kiefernpollen, von dem sich das Auge kaum lösen konnte, Delirium inklusive. Jetzt ist es eine Tonne Bienenwachs, die sich auf den beiden Hälften einer scheinbar halbierten Stufenpyramide in die Höhe stemmt.

Laib selbst spricht von einem Zikkurat, im Babylonischen sind damit gestufte Tempeltürme oder „Götterberge“ bezeichnet. Bekanntlich hat der architektonische Himmelssturm schon in alttestamentarischen Zeiten nicht funktioniert, erst recht darf man ihn als Sinnbild für unsere größenwahnsinnige Epoche begreifen. Und durch die nachgiebige, verletzliche Wachsverkleidung, die durch ihre Fugen an überdimensionale Ziegel erinnert, bilden die vier Meter hohen Bodenskulpturen ein herrliches Pendant zu den unverputzten Wänden im Nordflügel von Schloss Herrenchiemsee .

Das Kreuz als Herausforderung

Dass diese Hommage Ludwigs II. an den Sonnenkönig und Versailles unvollendet geblieben ist, erweist sich in unseren Tagen als Vorteil. Wir goutieren heute die rohen Räume, die Kunst der Gegenwart gewinnt hier eine ganz eigene Präsenz und Dynamik. Sowieso im Vergleich zum steril-cleanen, oft genug faden „white cube“, also dem weißen Museumswürfel.

In der Pinakothek der Moderne wirken Arnulf Rainers düster-dunkle Kreuze nicht halb so überzeugend, ihnen fehlt dort der Widerspruch, auch ein Hintergrund, gegen den sie sich behaupten müssen. Deshalb dürfen die Kruzifkationen, die das gesamte Schaffen des bald 90-jährigen Über-Malers durchziehen – der Österreicher wurde mit Übermalungen von Gemälden und Fotografien bekannt –, bei dieser nunmehr vierten „Königsklasse“ seit 2013 wieder einen ganzen Raum einnehmen. „Das Kreuz ist meine Grundfigur geworden“, hat er einmal gesagt, „mir fällt nichts anderes ein, was mich so herausfordert“. Wer das Werk des unbequemen Aktionskünstlers im Blick hat, weiß, dass er mit diesen Beispielen aus den 1960er-Jahren keineswegs christlich-abendländisches Kulturterrain absteckt, wie es dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder so schön in den Kram passen würde.

Das Spiel mit alten Symbolen greift auch Andy Warhol allzu gerne auf. Der Pop-Art-Meister hat sich in den 1970er-Jahren, während des Kalten Krieges, ausgerechnet an Hammer und Sichel abgearbeitet. Allerdings nimmt er das schlagende Duo auseinander und führt beide Teile auf die Ebene des bloßen Werkzeugs zurück. Als Stillleben wollte er diese Bilder verstanden wissen, und man muss an die Dollarscheine denken, mit denen Warhol einst den Kapitalismus als westliches Allheilmittel hinterfragt hat. Der ewig missverstandene Karl Marx hätte vermutlich an beidem seine Freude – so, wie Mentor Warhol an den impulsiv kraftvollen Kompositionen (1983) seines mehr als 30 Jahre jüngeren Kollegen Jean-Michel Basquiat. Das 1988 an einer Überdosis Heroin gestorbene Wunderkind aus dem Graffiti-Milieu warf seinen kruden Mix kultureller Zeichen ambitioniert auf die Leinwand und etablierte damit früh auf dem Kunstmarkt, was inzwischen in vielen Gesellschaften Usus geworden ist.

Reiz in der Raumfolge

Diesem hoch aktuellen Clash hat Kuratorin Corinna Thierolf die comicartig krakeligen Figurenfolgen (1942) des Schweizer Malers und Musikers Louis Soutter gegenübergestellt. Man weiß nicht so recht, ob dieses Personal hier einen Freuden- oder Totentanz aufführt, zu lachen hatte der 1923 mit 52 Jahren in ein Altersheim abgeschobene Sonderling jedenfalls nichts.

Solche Begegnungen und rhythmisch spannungsvolle Raumfolgen machen den Reiz dieser bislang besten „Königsklasse“ aus. Zumal sich neben den omnipräsenten Berühmtheiten auch ein paar Nischenwerker behaupten dürfen – und keineswegs untergehen. Natürlich wummt Dan Flavins 16 Meter langes Leuchtstoffröhren-Gatter von 1973. Das fluoreszierende Grün entwickelt bis in unsere LED-Ära eine eigentümliche Magie des Irrealen und verwandelt selbst die Pumperlgsunden unter den Besuchern zu Zombies aus dem Jenseits.

Doch dann biegt man um die Ecke und ist augenblicklich verzaubert von den fragilen Flugzeugen eines echten Außenseiters: Sagenhafte Gebilde sind das, mit menschlich anmutenden Gesichtern und minutiös ausgetüfteltem Innenleben für alle Situationen des Daseins. Hans-Jörg Georgi hat sie in einer Einrichtung der Lebenshilfe Frankfurt aus Pappe und Kartonabfällen gebaut. Der durch Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselte Künstler, Jahrgang 1949, schafft sich seit Jahrzehnten seinen eigenen Kosmos. Früher hatte das Pflegepersonal die Flieger abends entsorgt, jetzt flattern sie als „Outsider Art“ durch die internationale Ausstellungswelt. Auf Herrenchiemsee verkörpern sie weit mehr als den Traum vom Abheben. Und womöglich sitzt der dauernd in höheren Sphären schwebende Ludwig II. in einem der vielen Cockpits.