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Ausstattungsorgie

Umwerfend: „My fair Lady“ in Ulm

Ulm / Lesedauer: 3 min

Perfekt inszeniert: Frederick Loewes Musical „My Fair Lady“ bezaubert am Ulmer Theater
Veröffentlicht:11.11.2018, 19:14

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Als wahre Ausstattungsorgie präsentiert sich die neue Produktion von Frederick Loewes Musical „My Fair Lady“ am Ulmer Theater . Christian von Götz hat das Erfolgsstück opulent in Szene gesetzt und dafür auch das Bühnenbild entworfen. Besonders die phantasievollen, farbenprächtigen Kostüme von Sarah Mittenbühler und die fetzig-amüsanten Choreographien von Reiner Feistel und Gaetan Chailly sorgen immer wieder für stürmischen Applaus. Auch das engagierte Gesangsensemble, der von Hendrik Haas gründlich vorbereitete Opernchor und das von Levente Török dirigierte Orchester werden begeistert gefeiert.

Frederick Loewe (nicht zu verwechseln mit dem romantischen Balladenkomponisten Carl Loewe) stammte aus Wien und lernte wie sein ein Jahr älterer Kollege Kurt Weill in Berlin bei Ferruccio Busoni. In den 1920er-Jahren ging er nach New York und machte dort mit Songs und Musicals auf sich aufmerksam. Seinen größten Hit landete er 1956 in New York mit „My Fair Lady“. Die Texte dazu schrieb Alan Jay Lerner. Als Vorlagen dienten George Bernard Shaws Schauspiel „Pygmalion“ von 1913 und ein gleichnamiger Film von Gabriel Pascal aus den 1930er-Jahren. Loewe übernahm die Vertonung, nachdem Cole Porter, Gian Carlo Menotti, Leonard Bernstein und André Previn abgelehnt hatten.

In Ulm wird die 1961 in Berlin aus der Taufe gehobene deutsche Fassung gespielt. Wegen des Mauerbaus wurde seinerzeit per „Musical-Luftbrücke“ auch Publikum aus der Bundesrepublik eingeflogen. In Robert Gilberts Textübertragung ist das ordinäre Cockney des englischen Originals durch berlinerische Mundart ersetzt. Das Ulmer Ensemble hat sich darin fleißig geübt. Auf Götz’ Drehbühne sieht man abwechselnd heruntergekommene Gestalten aus Eliza Doolittles Milieu vor einem Pub, die grellfarbig leuchtende Bücherwand von Professor Higgins oder piekfeine Gesellschaft bei dessen Mutter.

Mittenbühler hat die soziologisch diversen Sphären mit unerschöpflicher Phantasie eingekleidet und dafür jede Menge fast surrealer Outfits erfunden. Überdimensionierte Kopfbedeckungen, abenteuerliche Frisuren, zirkusreife Harlekine und Clowns als Obsthändler, ein brillant getanztes Ballett beim Pferderennen – all das ist liebevoll ausgearbeitet und perfekt umgesetzt. Maria Rosendorfsky meistert die vokalen Höhenflüge von Eliza Doolittles Songs stilsicher, trifft aber auch den naiven Gossenjargon der Blumenverkäuferin überzeugend.

Umwerfend komisch

Markus Hottgenroth gibt der Figur des überheblichen Grobians Higgins Kontur. Nicht unpassend ist für diesen gefühlsblinden Sprachfanatiker und eingefleischten Junggesellen, der „sich lieber 20 Zähne ziehen als ein Weib an sich ranlassen“ möchte, ein singender Schauspieler gefordert. Seine pädagogischen Methoden beschränken sich auf tyrannischen Drill. Fabelhafte Rollenporträts gelingen auch Stephen Clemens als beschwichtigendem Oberst Pickering, Luke Sinclair als Elizas tenoral begabtem Verehrer Freddy, Christel Mayr als Higgins’ schrulliger Haushälterin und Ulla Willick als vulgär krakeelender Wirtin.

Umwerfend komisch agieren Martin Gäbler als Elizas stets besoffener Vater und charmanter Lebenskünstler sowie Fabian Gröver und Lukas Schrenk als seine Saufkumpels – auch wenn ihre A-cappella-Nummern nicht immer astrein geraten. Das Orchester lässt geschliffene Broadway-Perfektion vermissen, wird aber insgesamt dem süffig-sentimentalen, bei Tanznummern hinreißend schmissigen Musicalsound Loewes gerecht. Anders als bei Shaw gibt Eliza im Musical ihrem Professor nicht den Laufpass. In Ulm bleibt freilich offen, ob der zerknirscht in seiner Bibliothek zurückbleibende Gefühlsanalphabet am Ende nur von ihrer Rückkehr träumt.