StartseiteKulturÜberdruck in der Konsensfabrik

Überdruck

Überdruck in der Konsensfabrik

Kultur / Lesedauer: 4 min

Neu im Kino: „Wir sind jung. Wir sind stark“ – Das Drama von Rostock-Lichtenhagen
Veröffentlicht:19.01.2015, 17:57

Artikel teilen:

„Wir sind jung. Wir sind stark“ von Regisseur Burhan Qurbani ist politisch brandaktuell.

Der Film, der am Donnerstag in die Kinos kommt, erzählt von Jugendlichen, die als Erwachsene für Pegida demonstrieren könnten.

Bilder wie aus einem Bürgerkrieg – aber doch mitten in Deutschland. Ost-Deutschland um genau zu sein, denn an diesem Ort, zu dieser Zeit ist das wichtig: Rostock-Lichtenhagen in jener inzwischen berühmten, verhängnisvollen Nacht im August 1992, als ausländerfeindliche Ausschreitungen und purer Hass eskalierten. Ein frustrierter, aufgehetzter Mob stürmt ein Asylbewerberheim, steckt das Gebäude an, ohne Rücksicht darauf, dass dort noch mehr als 150 Menschen Schutz suchen. Nur durch glückliche Zufälle kommt niemand ums Leben.

22 Jahre danach hat Burhan Qurbani, der an der Filmakademie in Ludwigsburg studierte und dem mit „Shahada“ vor ein paar Jahren ein Überraschungserfolg gelang, in seinem zweiten Spielfilm diese Ereignisse nachgestellt. „Wir sind jung. Wir sind stark“ erzählt rund um sie eine fiktionale Geschichte, die sich trotzdem bemüht, das Lebensgefühl der Beteiligten authentisch zu fassen. Mit viel Unterstützung der Bevölkerung wurde der Film 2013 in Halle gedreht, jetzt kommt er ins Kino – zu einem Zeitpunkt, wie er besser (oder schlimmer) nicht passen könnte.

Weil sich gerade in Gestalt des Pegida-Mobs Volkes Stimme mit ihren primitivsten Ressentiments die Öffentlichkeit erobert, und die selbsternannten Qualitätsmedien dabei kräftig mitmischen, wird dieser Film plötzlich politisch brandaktuell und zum Dokument der Gegenwart.

Starke Regie, tolle Schauspieler

Qurbani erzählt angelehnt ans reale Geschehen, aber fiktional und meist in schwarz-weißen Bildern, die an das Banlieu-Drama „La Haine“ („Hass“) erinnern sollen und zusätzlich verfremden. Die Stärken des Films liegen in der Erinnerung an die Abläufe jenes verhängnisvollen Wochenendes, auch wenn manche offene Frage ungeklärt bleibt. Sie liegen auch im Handwerklichen, in Schnitt, in Kamera und Produktion, die ein intensives, pulsierendes Drama schaffen, das die historischen Ereignisse nicht verrät, sie aber erweitert.

Das Darsteller-Ensemble mischt Newcomer wie Jonas Nay oder Trang Le Hong mit bekannteren Namen wie Saskia Rosendahl und Devid Striesow. Und es überzeugt – sieht man einmal von der Ausnahme des überagierenden Joel Basman ab, dem der Regisseur viel zu viel Freiraum gab. Mit dem Ergebnis, dass Basman als knallchargiger Zappelphilipp zum Klischee eines Schauspielers gerinnt. Man atmet immer auf, wenn er endlich wieder nicht mehr im Bild ist.

Die größte Stärke des Films jedoch ist die brennende Aktualität seiner Handlung. Die rührt nicht vom 25. Jubiläum des Mauerfalls, sondern vom rechten Terror in den ostdeutschen Bundesländern. Es gibt offene Anspielungen auf die Morde des NSU. Es ist kein Zufall, dass Qurbani auch eine Frau zwischen zwei Männern ins Zentrum rückt, und den Faschismus seiner Figuren aus sexuellen Spannungen ebenso erklärt, wie aus sozialem Frust und destruktiver Energie. Jene Jugendlichen, die hier im Zentrum stehen, könnten 20Jahre später für Pegida demonstrieren.

Qurbani bemüht sich, das Lebensgefühl aller Beteiligten des Sommers '92 authentisch zu fassen. Die Gründe für das Handeln der Kids liegen auch einfach in fehlenden Perspektiven, sozialem Frust und ostdeutschem Überdruck in der westdeutschen Konsensfabrik.

Man könnte Qurbani allerdings vorwerfen, dass er bei der Nachempfindung etwas zu viel Empathie an den Tag legt. So sind Regie und Drehbuch die Schwächen, weil Qurbani zu viel will, und sich nicht recht entscheidet, ob er nun von rechtsextremen Taten erzählen möchte oder einfach vom Lebensgefühl Jugendlicher. Dass beides im Leben mitunter nicht zu trennen ist, ist natürlich die – politisch spekulative – These des Films.

Weil dieser starke Film zu nahe dran ist, fehlt ihm Distanz. Aus der Nähe werden Lebensgefühl und Verbrechen, Maulheldentum und Menschenverachtung vermengt, und manchmal ein paar Entschuldigungen zu viel angeboten.

„Wir sind jung, wir sind stark“, Regie: Burhan Qurbani, Deutschland, 128 Minuten, FSK: ab 12 Jahren.