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Udo Lindenberg wird 75: Der macht sein Ding

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Udo Lindenberg wird 75 – Für die Musikikone ist elitär immer noch ein Fremdwort
Veröffentlicht:14.05.2021, 18:43

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Wann hat man es geschafft, im Musikgeschäft als Ikone durchzugehen? Hier einige Kriterien: Wenn man gleich mehrere Songtitel- und zeilen im allgemeinen Sprachgebrauch untergebracht hat. Wenn die Lebens- und Wirkensgeschichte in einem Musical und Kinofilm verarbeitet wurde. Wenn man einen so markanten Stil kreiert hat, dass man bereits an der bloßen Silhouette erkannt wird. Wenn man es durch einen denkwürdigen Besuch in Ostberlin sogar in die regulären Geschichtsbücher geschafft hat. Wenn eine Menschaffenart nach einem benannt wurde. Oder wenn man schon so lange dabei ist, dass man zwischendurch zur eigenen Parodie zu werden drohte – nur um dann mit über 60 noch einmal groß durchzustarten – und seitdem als reifer Rock-Staatsmann über der bunten Republik Deutschland zu thronen.

Das alles und noch viel mehr trifft auf Udo Lindenberg zu, der am Montag seinen 75. Geburtstag feiert. Pünktlich zum Jubeltag ist mit „UDOPIUM – Das Beste“ eine lohnenswerte Werkschau erschienen (Warner Music), die auf vier CDs zeigt, dass der gebürtige Gronauer gar nicht daran denkt, sich auf seinen frühen Erfolgen auszuruhen.

Mehr als 1100 Chartplatzierungen hat Lindenberg im Laufe seiner Karriere erreicht, aber richtig breitgemacht an der Spitze der Albumcharts hat er sich erst seit seinem Comeback „Stark wie Zwei" im Jahr 2008. Und wenn er seitdem zurückschaut, dann vorzugsweise in Kollaboration mit einem ganzen Rudel jüngerer Kolleginnen und Kollegen von Clueso und Jennifer Rostock bis hin zu Jan Delay, Gentleman und Marteria. Auch für seine aktuelle Single „Mittendrin“ hat er sich beim Songschreiber und Sänger Johannes Oerding Unterstützung geholt und bereichert derzeit die Radio- und Streamingkanäle mit der schönen Botschaft „Denn selbst die dunkelste Stunde hat nur sechzig Minuten“.

Zu einer langjährigen Künstlerbiografie gehören in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile zwangsläufig neben den Höhen auch entsprechende Tiefen – eine Erzählung, die in den letzten Jahren durch den Erfolg von Filmbiografien wie „Bohemian Rhapsody“ (Freddie Mercury) und „Rocket Man“ (Elton John) noch befeuert wurde. Auch Lindenberg spart dies in seiner schlicht „Udo“ betitelten Biografie (Kiepenheuer & Witsch) nicht aus. Vor allem „Lady Whisky“, die „hochprozentige Braut“ samt ihrer Schwestern, zog ihn zeitweise steil nach unten und brachte ihn mit Promille-Rekordwerten wiederholt ins Krankenhaus. „Trinken, so wie wir es betreiben, könnte auch gut olympische Disziplin werden“ war lange Zeit die Devise, und gleich zu Beginn der Biografie verkündet Lindenberg lakonisch: „Stell dir vor, du gibst eine Party, und das Ganze dauert ein bisschen länger. Nicht bis zum Morgengrauen. Nicht zwei oder drei Tage. Eher vierzig Jahre.“ Selbstmitleid ist offenkundig Udos Sache nicht und selbst in diesen dunkleren Stunden machte er künstlerisch weiter „sein Ding“ – eigentlich eine abgedroschene Phrase, die bei ihm aber wie kaum einem anderen zutrifft (und passenderweise auch gleich in einem Songtitel, „Mein Ding“, verwurstet wurde).

Dabei kam es nach den Triumphen der 70er, als Theaterregisseur Peter Zadek Lindenbergs Tourneen inszeniert und dem noch breiteren kommerziellen Erfolg der 80er Jahre, der ihn mit Nummern wie „Horizont“ auch in die ZDF-Hitparade spülte, vielleicht zwangsläufig zu einer eher durchwachsenen Phase. In der Zeit war es recht einfach, sich über Udo Lindenberg lustig zu machen: Der unverändert gebliebene lässige Jugendsprech, der teils seltsam anachronistisch wirkte; der Hang zur großen Aktion, Performance, Stellungnahme, die gern ein gutes Stück übers Ziel hinausschießt; die öffentliche Selbstinszenierung mit Hut, Sonnenbrille, Uniform und das ewige Leben im Hotel.

Aber selbst da konnte man den Spöttern entgegenhalten, sich mal eine deutsche Musikszene vorzustellen, die nie von einer Lindenbergschen Panikaktion durchgeschüttelt wurde. Sie wäre ein gutes Stück ärmer. Als andere noch „Herz“ auf „Schmerz“ reimten oder „Du bist alles“ schmalzten, kam da einer an, der, so abgedroschen das heute auch klingen mag, Songs präsentierte, die ihre Wurzeln im richtigen Leben hatten: Die schrägen Gestalten von Johnny Controlleti bis Rudi Ratlos, die schnoddrige Schnauze, der an den internationalen Rock angelehnte Sound.

Mancher mag dem Mann, der so gern das „Mädchen aus Ost-Berlin“ besang, seine Kontakte zu Erich Honecker in den 1980er-Jahren als Anbiederung vorwerfen. Aber immerhin war Lindenberg einer der wenigen Musiker, die den Blick über die Mauer wagten, während es sich der Rest im Westen recht gemütlich eingerichtet hatte. Und über all die Jahre blieben Lindenberg-Konzerte ein Spektakel, zumal sich der Wahl-Hamburger stets um Nachwuchsförderung bemüht hat und diesem eine Plattform bietet. Auch mit seinen Likörellen genannten Gemälden auf hochprozentiger Basis war Lindenberg, der seine Karriere in den 1960er-Jahren als Schlagzeuger begonnen hatte, gut im Geschäft.

Doch auch wenn er jetzt in Galerien hängt, ist elitär so ziemlich die letzte Eigenschaft, die man mit Lindenberg in Verbindung bringen würde. Auch jenseits der 70 hat er sich die Neugier auf andere Menschen bewahrt, mischt sich bei Festivals unters Publikum und stimmt schon mal mit Veteranen-Fans spontan seine schräge Rock-Oper „Cowboy-Rocker“ an. Mit seinem Einsatz gegen Rechtsradikalismus und für eine offene Gesellschaft ist es ihm unverändert ernst. Zwischen Pop und Politik, zwischen Reeperbahn und hoffentlich bald wieder den Bühnen der Republik wird Udo Lindenberg auch nach dem 75. sicher noch eine ganze Weile lang sein Ding machen.