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Kommunikationstechnik

Serebrennikov inszeniert aus der Ferne

Zürich / Lesedauer: 3 min

Mozarts „Così fan tutte“ am Opernhaus Zürich: Die Generation Selfie probt das Fremdgehen
Veröffentlicht:09.11.2018, 19:58

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Dank moderner Kommunikationstechnik konnte der russische Regisseur Kirill Serebrennikov seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Opera buffa „Così fan tutte“ am Opernhaus Zürich nun aus der Ferne doch noch fertigstellen. Und das, obwohl er immer noch in Moskau im Hausarrest festsitzt. Vor einigen Tagen hat dort der Prozess gegen ihn wegen angeblicher Veruntreuung staatlicher Gelder begonnen. Hinter der Anklage scheinen jedoch eher Kräfte zu stehen, die gegen moderne Strömungen und „westliche Dekadenz“ im Theaterbetrieb ein Exempel statuieren wollen.

Lange hatte man in Zürich gehofft, Serebrennikov könne doch noch vor Ort die Proben betreuen. Vor einem Jahr musste man sich an der Staatsoper Stuttgart auf eine provisorische Version seiner „Hänsel und Gretel“-Inszenierung beschränken. Mittlerweile dauert sein Hausarrest schon 14 Monate an. Für die Zürcher Produktion hat Serebrennikov durch seinen Anwalt detaillierte Angaben und Skizzen an seine vor Ort weilenden Mitarbeiter Evgeny Kulagin (Umsetzung Inszenierung, Choreografie), Nikoly Simonov (Bühnenbild) und Tatiana Dolmatovskaya (Kostüme) übermittelt. In die Proben konnte er per Videokontakt auch selbst noch korrigierend eingreifen.

Schon zehn Minuten vor Beginn der „Così“-Vorstellung wird auf zwei grell erleuchteten Stockwerken eines Fitnessstudios fleißig an physischer Selbstoptimierung gearbeitet. Unten machen Männer verbissen Liegestützen oder mühen sich mit Hanteln und an Sprossenwänden ab. Oben trainieren die Frauen eher lässig auf dem Laufband, bewundern ihre Model-Figuren, schießen Selfies und starren ständig auf ihre Smartphones. Auch nach der Ouvertüre stehen sie über Whatsapp mit der unteren Etage in Verbindung. „Pling“ macht es dort in einer Arienpause, weil gerade gepostete Fotos eintrudeln. Später werden an der Rückwand vergrößert Chat-Veläufe durchgescrollt – eine Idee, die vor einiger Zeit bereits Antje Schupp für ihre „Così“-Inszenierung am Ulmer Theater brillant ausgeschlachtet hat.

Serebrennikov präsentiert jede Menge drastischer Gags und hat die Personenführung dafür genau festgelegt. Der Zyniker Don Alfonso ist bei ihm ein jugendlicher, aber frauenverachtender, an der Wodkaflasche hängender Typ, der beim Stichwort „donne“ („Frauen“) dem Boxdummy einen aggressiven Haken verpasst. Als Dorabellas und Fiordiligis Verlobte angeblich zur Armee müssen, zieht er zur Tränenabwehr für die Damen meterlange Bahnen aus dem Papierspender.

Übermaß an Klamauk

Leider verpuffen jedoch solche, meist völlig überdrehten Aktionen schnell. Je mehr Klamauk aufgeboten wird, desto länger scheinen Arien, Duette oder Ensembles sich zu dehnen. Besonders die zweite Hälfte der Oper zieht sich, bis der Partnertausch zeitversetzt in beiden Schlafzimmern übereinander und in die Breite durchdekliniert ist. Alfonso fingiert hier, Ferrando und Guglielmo seien tatsächlich im Krieg gefallen. Ihren Bräuten werden Urnen mit Asche überreicht. Ihre Treue wird mit Ersatzmännern überprüft, während die Scheintoten singend zuschauen.

Andrei Bondarenko (Guglielmo) und Frédéric Antoun (Ferrando) tun das vokal elegant, szenisch zunehmend irritiert durch die Erfolge der tätowierten Testosteronbolzen, die für sie agieren. Antoun bezaubert mit schön geführter Tenorstimme. Ruzan Mantashyan findet feine Zwischentöne für Fiordiligis Skrupel. Anna Goryachova setzt Dorabellas hysterische Exzesse stimmlich und darstellerisch bravourös in Szene. Rebeca Olvera wiegelt als Despina mit Hosenanzug und Brille ihre Mandantinnen mit energisch tönendem Sopran auf.

Über eine Shoppingtour im Dessous-Geschäft hinaus lassen sich die beiden Schwestern allerdings nur mühsam zu etwas mehr Frauenpower überreden. Auch Michael Nagy kann daran als baritonal verführerischer Alfonso letztlich nichts ändern. Cornelius Meister, seit September neuer Chefdirigent der Stuttgarter Oper, animiert in Zürich das Orchester zu schlankem, sehnigem, oft freilich auch brachialem Klang, dem es trotz relativ schneller Tempi an Leichtigkeit fehlt. Quirlige Holzbläserfiguren und Koloraturen der Sänger geraten nicht selten verhetzt. Auch die exakte Koordination zwischen Graben und Bühne lässt mehrfach zu wünschen übrig.