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Retrospektive

Retrospektive Julius Bissier in Freiburg

Freiburg / Lesedauer: 4 min

„Im Raum meiner Imagination“ – Julius Bissier in einer Retrospektive in Freiburg
Veröffentlicht:27.05.2018, 19:48

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Julius Bissier und Ostasien ? Von der geistigen Verbindung weiß man spätestens seit Ende der 1950er-Jahre, als Bissier (1893 - 1965)zuerst in Deutschland und wenig später international bekannt wurde – mit Teilnahmen an der Biennale von Venedig 1958 und 1960 sowie an der Documenta 1959. Eine Freiburger Ausstellung rückt diesen Aspekt unter dem Titel „Im Raum meiner Imagination. Julius Bissier und Ostasien“ zum ersten Mal umfassend in den Fokus. Deutlich wird in der Präsentation des Museums für Neue Kunst in der Ausstellungshalle des Augustinermuseums, dass die fernöstliche Perspektive die einzig sinnvolle für eine Betrachtung von Bissiers Gesamtwerk ist. Die Schau mit mehr als einhundert Werken Bissiers sowie zahlreichen Objekten aus Fernost erlangt so den Stellenwert einer vollgültigen, umfangreichen Retrospektive.

Es war Zufall und man möchte es eine glückliche Fügung nennen, dass der Ethnologe und Ostasienforscher Ernst Grosse die erste Einzelausstellung des jungen Künstlers in einer Galerie in Freiburg im Jahre 1919 besuchte. Beim Anblick eines Hl. Hieronymus von Bissier fühlte sich der Kunstliebhaber an Bilder der „großen Sung Meister“ erinnert, wie er fasziniert notierte. Auch ein Tulpenbild weckte bei ihm fernöstliche Assoziationen. Grosse erwarb das Hieronymus-Gemälde – und suchte den Kontakt zu dem Künstler. Mit seinen Kenntnissen und mit mannigfachen Objekten aus Ostasien regte er Bissiers lebenslange Beschäftigung mit der chinesischen und japanischen Kultur an.

Neue Bildsprache

Zwar entwickelte Bissier in den Zwanzigerjahren zunächst eine ganz neue Bildsprache und malte im Stil der Neuen Sachlichkeit. Doch lassen die beiden Kuratorinnen Isabel Herda und Anna Hagdorn in der Gegenüberstellung seiner Bilder mit Farbholzschnitten von Hokusai und Hiroshige ostasiatische Einflüsse selbst in den neusachlichen Malereien möglich erscheinen. Infolge der Beschäftigung mit den fernöstlichen Kulturen ändert sich Bissiers Arbeitsweise im Laufe der Zeit grundlegend. Alsbald treten Arbeiten in Tusche und Papier im kleinen Format an die Stelle von Ölgemälden.

Kunsthandwerkliche Objekte wie Keramiken besaßen in der chinesischen und japanischen Tradition einen weitaus höheren Stellenwert als in der westlichen Kultur. Und so ist es sinnvoll, dass die Schau neben Malereien und Zeichnungen aus Fernost zahlreiche Ostasiatika wie Tongefäße, Lackwaren, Kalligrafien oder Arbeiten aus Elfenbein einbezieht. Einige Teeschalen aus Bissiers Nachlass sind auf einem geräumigen Vitrinentisch ausgebreitet (für das kreative Ausstellungsdesign mit Binnenräumen und Nischen zeichnet die Berliner Agentur Cee Cee Creative verantwortlich). Den Parcours beschließt ein Regal mit Bänden aus Bissiers Bibliothek – darunter das I Ging [heute: Yijing], das „Buch der Wandlungen“, aus dem er immer wieder schöpfte. Die Kunstwerke wie die Objekte stammen großenteils aus den Sammlungen der Städtischen Museen und des Museums für Neue Kunst sowie dem Bissier-Archiv in Ascona und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen.

Ende der 1920er-Jahre gerät Julius Bissier in eine künstlerische Krise. 1934 treffen ihn zwei Schicksalsschläge. Er verliert seinen kleinen Sohn und durch einen Brand sein Freiburger Atelier; von 1936 an lebt er zurückgezogen in Hagnau am Bodensee. In diesen trüben Jahren vollzieht sich in seiner Arbeit so etwas wie eine stille Revolution. Die fernöstliche Kultur, aber auch der Austausch mit Willy Baumeister eröffnen ihm neue Horizonte.

Inspiriert von Kalligrafie

Auf dem Weg in die Abstraktion ist ihm die chinesische Kalligrafie eine Inspirationsquelle - in rein ästhetischer Hinsicht, gelöst von der semantischen Bedeutung von Schrift. Über Jahre hinweg variiert Bissier in Tuschezeichnungen das daoistische Einheitszeichen als Symbol des - wie er schreibt - „bipolaren Lebens“. Diese Tuschen sind für ihn „Stenogramme meines persönlichen Wesens“, in politisch schwerer Zeit zugleich Trost und geistiger Anker. Mitte der Vierzigerjahre findet Bissier in Blättern mit Kaseinfarbe und in Monotypien erneut zur Farbe. Farbig sind auch die später entstehenden Malereien in Eiöltempera. Wie hingehaucht wirken sie. In ihrer Zartheit, Offenheit und Freiheit sind sie ein Gipfelpunkt und die Quintessenz von Julius Bissiers Kunst.