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Rückblick auf die Intendanz von Armin Petras in Stuttgart

Stuttgart / Lesedauer: 6 min

Armin Petras verlässt zum Ende der Saison das Staatsschauspiel Stuttgart vorzeitig - Ein Rückblick auf seine Intendanz
Veröffentlicht:29.05.2018, 19:00

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Vor fünf Jahren übernahm Armin Petras das Stuttgarter Schauspiel. Sein Vertrag läuft bis 2021, er verlässt die baden-württembergische Landeshauptstadt jedoch frühzeitig zum Ende dieser Spielzeit. Am Wochenende hatte seine Inszenierung von Orwells Roman „1984“ Premiere.

Den Stuttgartern kann man eines nicht vorwerfen, dass sie sich nicht mit Armin Petras auseinandergesetzt hätten. Das Problem liegt wohl eher in der Annahme der Stuttgarter, Petras habe sich nicht genügend mit ihnen auseinandergesetzt. In den fünf Jahren der Stuttgarter Intendanz von Armin Petras ist es zu Entfremdungserscheinungen zwischen der künstlerischen Leitung und einem ziemlich sachkundigen Publikum gekommen, das seit der Intendanz von Claus Peymann (1974 - 1979) davon ausgeht, sein Staatsschauspiel sollte auf jeden Fall zu den wichtigsten Bühnen der Republik zählen. Andererseits sind die Stuttgarter Schwaben und das bedeutet: Sie überprüfen sehr genau, was sie für ihr Geld bekommen.

Anders als in Berlin und München

Jetzt, da Armin Petras Intendanz in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zum Ende der Saison nach fünf Jahren endet, sieht es so aus, als habe man es mit einem merkwürdigen Irrtum der Wechselgeschichten an der Spitze großer deutschsprachiger Bühnen zu tun. Mit dem Desaster, das der belgische Kurator und Theaterwissenschaftler Chris Dercon nach nur einigen Monaten des Scheiterns an der Berliner Volksbühne hinterlassen hat, ist der frühzeitige Abschied von Armin Petras zum Ende dieser Spielzeit auf keinen Fall zu vergleichen. Und auch nicht mit Matthias Lilienthals Nicht-Verlängerung an den Münchner Kammerspielen . Dercon träumte von einer musealen Volksbühne ohne festes Ensemble, Lilienthal will das traditionelle Repertoiretheater für internationale Koproduktionen durchlässig machen.

Petras dagegen steht für ein Ensemble- und Repertoiretheater, das die Welt durchleuchtet, indem es Geschichten erzählt. Das hat er schon getan, als er die Experimentierbühne „Schmidtstraße“ des Frankfurter Schauspiels (2002 - 2006) und das Berliner Maxim Gorki Theater (2006 - 2013) leitete. Zu Petras’ Geschäftsmodell gehört allerdings auch, dass er an anderen Theatern inszeniert und diese Inszenierungen später im eigenen Haus zeigt.

In Berlin funktionierte das. Der Intendant reiste und inszenierte, etablierte sich als Opernregisseur und schrieb unter dem Namen Fritz Kater Theaterstücke, die er häufig selbst zur Uraufführung brachte. Das Hauptstadtpublikum interessierte sich nicht dafür, ob der Chef anwesend war oder nicht. In Stuttgart dagegen änderte sich das.

Überschwänglicher Empfang

Zu Beginn wurde der Neue aus Berlin noch überschwänglich empfangen, und die künstlerische Leitung des Hauses bedankte sich, indem sie ein bemerkenswert spielfreudiges Ensemble zusammenstellte und ganz unterschiedliche Regisseure nach Stuttgart holte. Das reichte von Jan Bosse, der sprachmächtige Klassiker über die Auslotung von Figuren erhellt, bis hin zu einem Regisseur wie Sebastian Hartmann, der im April 2015 mit einer Bühnenadaption des Clemens Meyer-Romans „Im Stein“ eine Uraufführung ablieferte, die in Richtung Performance tendierte. Sie verdient bis heute das Prädikat „bemerkenswert“.

Einen der größten Erfolge konnte das neue Stuttgarter Schauspiel gleich mit der Eröffnung im Oktober 2013 feiern. Der Regie-Newcomer Robert Borgmann hatte auf Tschechows „Onkel Wanja“ mit einer bildgewaltigen Überformung des Textes reagiert. Die Inszenierung reiste zum Berliner Theatertreffen; Peter Kurth spielte den Wanja und wurde zum Schauspieler des Jahres gewählt.

Armin Petras selbst widmete sich Anfang 2014 Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ und brachte mit dem Köhler Munk einen Frühkapitalisten auf die Bühne. Der Romantiker Hauff war Stuttgarter, Petras baute in seine Adaption des Märchens aus dem Jahr 1827 eine Volkstanzgruppe aus dem Nordschwarzwald ein. Mehr Hinwendung zu Stuttgart und Baden-Württemberg ist kaum möglich.

Als derselbe Petras ein Jahr später an den Münchner Kammerspielen aber mit „Buch (5 ingredientes de la vida)“ den zu diesem Zeitpunkt neuesten Kater-Text zur Uraufführung brachte, kippte die Stimmung. Dass die Koproduktion dann auch noch zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen wurde, der Olympiade für deutschsprachige Stücke, machte die Sache aus Stuttgarter Sicht nicht wirklich besser. Schließlich fand die Premiere nicht in der baden-württembergischen Landeshauptstadt statt, sondern an den Münchner Kammerspielen. Die Stuttgarter Premiere folgte erst einige Monate später. Roland Müller, Theaterredakteur der „Stuttgarter Zeitung“ und wichtigster Multiplikator der Stimmungslage rund um das Staatsschauspiel, reagierte in seiner Besprechung der Münchner Uraufführung entsprechend empört: „Aber warum bloß wird dieses ‚opus magnum‘ in München uraufgeführt? Und nicht in Stuttgart, wo Armin Petras immerhin einen gut dotierten Arbeitsplatz als Intendant hat?“ Spätestens zu diesem Zeitpunkt verdichtete sich die diffuse Missstimmung zu einem Tief. Armin Petras dachte aber wohl weiterhin, er könne das Stuttgarter Schauspiel leiten wie er das Maxim Gorki Theater geleitet hatte.

Dabei hatte sich der Wind bereits gedreht. Es ging zunehmend um Stimmungen. Die Frage, wie einzelne Inszenierungen künstlerisch zu bewerten sind, rückte in den Hintergrund. Das war schon so, als Frank Castorf eine Patchwork-Adaption von „Tschewengur“ inszenierte, Andrei Platonovs epischem Abgesang auf die russische Revolution, und die Stuttgarter Zuschauer mit der für ihn üblichen Überwältigungsorgien und Ermüdungsbädern müde spielte.

Alles nur ein Missverständnis?

Schon im Oktober 2015 ging es hauptsächlich um die Frage, ob Armin Petras lediglich seine eigene Agenda verfolgt und sich nicht für das Stuttgarter Publikum interessiert. Die künstlerische Leitung des Staatsschauspiels dagegen hätte wohl am liebsten jeden einzelnen Zuschauer gefragt: „Was sollen wir dir eigentlich noch bieten?“ Die Lage spitzte sich zu. Plötzlich wurde diskutiert, wieviel Zuschauer das Schauspiel noch an sich binden konnte. Konkrete Zahlen wurden allerdings nicht genannt und man konnte davon ausgehen, dass das Staatsschauspiel zwar Zuschauer und Abonnenten verloren, aber nie eine Demarkationslinie unterschritten hatte. Im Gegenteil: In einem Interview, das Armin Petras im November 2016 der „Stuttgarter Zeitung“ gab, heißt es, der Tiefpunkt sei mit einer Auslastung von 74 Prozent erreicht worden, inzwischen nähere man sich wieder der Marke von 80 Prozent.

Dass die Auslastungszahlen am Ende zumindest akzeptabel waren, dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass der Verwaltungsrat der Stuttgarter Staatstheater den Vertrag des Schauspiel-Intendanten bis ins Jahr 2021 verlängert hatte. Kurz nach besagtem Interview verkündete Armin Petras allerdings doch seinen vorzeitigen Abschied. Das kam sehr überraschend und hat wohl auch damit zu tun, dass ein Theaterkünstler wie er nicht nur vom Verwaltungsrat geliebt werden möchte. Wie das mit der Liebe in Bremen sein wird, wo Armin Petras mit Beginn der nächsten Spielzeit als Hausregisseur arbeitet, bleibt abzuwarten.