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Uraufführung

Poppige Uraufführung eines Märchens über Arm und Reich in Stuttgart

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Uraufführung von Anne Leppers „Life can be so nice“ am Stuttgarter Staatsschauspiel
Veröffentlicht:11.01.2023, 05:00

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Nicki hat eigentlich ein ganz gutes Leben, im Moment allerdings läuft es nicht wirklich rund. Die Mary zum Beispiel schmeißt ihn plötzlich raus aus dem Luxusappartment oben im Grandhotel. Er habe es ja nur auf ihr Geld abgesehen, sagt sie, und schon treffen wir ihn wieder unten im Keller der Nobelherberge. Mary ist reich und leistet sich Nicki als Lover. Jetzt aber mag sie nicht mehr und er zählt plötzlich zu den Unglücklichen der Gesellschaft, die von morgens bis abends schuften müssen.

Dass das Leben schön sein kann, verspricht Anne Lepper im Titel ihres neusten Theaterstücks, lässt dann aber doch einfließen, dass das mit der Schönheit so eine Sache ist. Zum einen liegt sie im Auge des Betrachters, zum anderen hat Schönheit immer auch etwas mit Geld und damit zu tun, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Welt zu kommen. Klappt das mit der punktgenauen Geburt nicht, hat man eben Pech und landet in den Dienstleistungskatakomben der Gesellschaft.

Der Aufzug als Sehnsuchtsort

So könnte man den vorläufigen Lebenslauf von Nicki beschreiben, der nach der unsanften Landung im Maschinenraum des Grandhotel nur noch einen Sehnsuchtsort kennt: den Aufzug. Mit dem könnte er wieder nach oben und dorthin kommen, wo das Geld zu Hause ist. In den Aufzug rein käme er allerdings nur, wenn ein reicher Mensch sich herablassen und ihn unten abholen würde. Warum die Unterprivilegierten im Souterrain unbedingt in den Aufzug wollen, erklärt der Kapo der Dienstleistungsbrigade folgendermaßen: Du solltest alleine schon deshalb reich sein, meint Dirk, weil du als armer Mensch ein System infrage stellen müsstet, das nur dann schlecht ist, wenn du arm bist, das ansonsten aber ganz gut funktioniert.

Hört sich kompliziert an, Anne Lepper kann anspruchsvolle Lebenszusammenhänge jedoch derart raffiniert in Dialoge verpacken, dass man den Eindruck hat, ein Kind erkläre die Welt. Gleichzeitig sorgt sie mit Wortspielschleifen dafür, dass die Glücksversprechen einer merkantilen Moderne im Strudel einer absurden Komik verschwinden und wir einmal mehr verstehen, dass Liebe nicht satt und Geld nicht glücklich macht.

Auf solche Zusammenhänge weisen auch eine „Küchenbrigade“ und ein „Gemischter Frauenchor“ hin. Die chorischen Frauen hat die reiche Mary sich als Ersatz für den gefeuerten Lover zugelegt, der aber entführt den Chor in die Unterwelt der Luxusherberge, wo die Chorfrauen zusammen mit den Küchenbrigadisten eigentlich den proletarischen Kampf gegen die Besserverdienenden da oben anführen müssten. Dann sagen sie aber Sätze wie: „Möge das System ungerecht bleiben, damit wir aufsteigen können“, oder sie zitieren Lovesongs der jüngsten Popgeschichte wie Peter Gabriels „Book of Love“ oder „Nothing Compares 2 U“ von Prince.

Kein Spiel mit dem Text

Anne Leppers verdichtete Sprachspiele sind eine Herausforderung für Regisseurinnen und Regisseure. Das konnte man unter anderem 2016 bei der Mannheimer Uraufführung von „Mädchen in Not“ sehen. Der damalige Urauf- führungsregisseur hatte den Text so zum Klingen gebracht, dass Lepper der Mülheimer Dramatikpreis zugesprochen wurde. Das ist die höchste Auszeichnung für neue deutschsprachige Stücke und war auch eine Anerkennung für die Arbeit von Burkhard C. Kosminski am Schauspiel des Mannheimer Nationaltheaters.

Für die Stuttgarter Uraufführung an Kosminskis jetziger Wirkstätte war Jessica Glause zuständig, die 2011 die Uraufführung von Leppers Debütstück an den Münchner Kammerspielen inszenierte. Dieses mal hatte sie aber anscheinend Probleme damit, in Tuchfühlung mit Leppers Theatertext zu kommen. Mai Gogishvili und Florin Buder (Kostüme) stellen zwar eine futuristisch anmutende Bühne und poppig-schrille Kostüme zur Verfügung, die ein Spiel mit dem Text zulassen würden. Mit dem Wort „Spiel“ konnte Glause aber wohl nicht so viel anfangen. Wie sonst wäre zu erklären, dass sie die Stuttgarter Schauspielerinnen und Schauspieler durch ein Stück stolpern lässt, das wesentlich mehr zu bieten hat, als die Uraufführung einlösen kann.