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Opernkritik

Opernkritik: Eine leidenschaftliche Lucia

Ulm / Lesedauer: 3 min

Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ am Ulmer Theater überzeugt vor allem stimmlich
Veröffentlicht:21.12.2018, 19:00

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Ansgar Haags Neuinszenierung von Gaetano Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ erhielt bei ihrer Premiere ausgiebigen Beifall. Die von Generalmusikdirektor Timo Handschuh dirigierte Produktion des Ulmer Theaters kann vor allem mit sängerischen Glanzleistungen und orchestraler Pracht, Präzision und Dramatik punkten. Besonders die neu zum Ulmer Ensemble gestoßene Sopranistin Maryna Zubko begeistert mit einer makellosen Interpretation der Titelpartie. Auch die von Hendrik Haas perfekt einstudierten Chornummern überzeugen klanglich.

Donizettis „Lucia di Lammermoor“ wurde 1835 in Neapel uraufgeführt. Das Libretto von Salvadore Cammerano basiert auf dem historischen Schauerroman „The Bride of Lammermoor“ von Walter Scott. Die Handlung spielt Ende des 16. Jahrhunderts in Schottland und erzählt von der tragischen Liebe Lucia Ashtons zu Edgardo von Ravenswood vor dem Hintergrund der alten Feindschaft beider Adelsfamilien. Der bankrotte Enrico Ashton zwingt seine Schwester Lucia in eine Ehe mit Lord Arturo. Als Ausweg bleibt ihr nur der Wahnsinn.

Als Herzstück von Donizettis Oper gilt Lucias große Wahnsinns-arie, für deren Begleitung der Komponist eine Glasharmonika vorgesehen hat. Nach seinem Tod wurde anstelle des schwer zu besetzenden Instruments eine Flöte verwendet. Dies gilt auch für die berühmte Interpretation von Maria Callas, die diese Arie als Paradenummer einst genial zelebriert hat. In Ulm hat man für die Originalfassung den exzellenten Glasharmonika-Spieler Sebastian Reckert gewonnen. Allein schon wegen dieser spektakulären Szene lohnt sich ein Besuch der Vorstellung.

E.T.A. Hoffmans bekanntes Diktum, Beethovens Sinfonik bediene „gern die Hebel des Schauers“, ließe sich gut auch auf Donizettis musikdramatisches Meisterwerk münzen. Die aus der Ukraine stammende Koloratursopranistin Maryna Zubko tastet sich anfangs noch etwas vorsichtig in belkantistische Verzierungen. Alles klingt akkurat, doch vermisst man das von der Partitur verlangte vokale Feuer. Bald aber findet Zubko zu leidenschaftlicher Darbietung. Technisch brillant gelingen aberwitzige Läufe, Sprünge und ausdauernde Spitzentöne, für die sie viel Szenenbeifall erntet.

Grandiose Wirkung entfaltet die Wahnsinnsarie, in der sich Zubkos exaltierter Gesang gespenstisch mit den zerbrechlich anmutenden Klängen der geriebenen Gläser verbindet, als ginge Lucias seelische Erschütterung direkt in deren ätherische Melodien über. Paradoxerweise äußert die Titelfigur hier recht vernünftige Argumente, die nur den Umstehenden verrückt erscheinen. Joska Lehtinen (Edgardo) verfügt über eine wohlklingende, schlanke, elastische Tenorstimme, tönt aber stellenweise angestrengt bei der Intonation.

Dae-Hee Shin beeindruckt als Bösewicht Enrico mit klangstarkem, stabilem Bariton. Luke Sinclair (Arturo) strahlt gepflegte tenorale Autorität aus. Als Lucias Erzieher Raimondo versucht Erik Rousi mit begütigenden Basskantilenen letztlich erfolglos zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Ideal ergänzen Chiao Shih als Lucias Vertraute Alisa und Joung-Woon Lee als Enricos Truppenchef Normanno das hervorragende Ensemble. Das Orchester spielt unter Handschuh kultiviert, flüssig und mit fein abgestimmter Dynamik.

Szenisch ziemlich bieder

Ansgar Haag, bis 2006 selbst Intendant des Ulmer Theaters, hat die Geschichte ins frühe 20. Jahrhundert verlegt. Christian Rinkes Bühne zeigt graue, verwinkelte Räume einer Schlossruine. Eine Treppe führt nach oben in ein zweites Stockwerk mit zerstörten Mauern. In einem versifften Schlachtraum hängen tote Tiere an Haken. Mit blutverschmiertem Kleid geistert dort hin und wieder eine Frau herum. Enricos Mannen tragen lange, etwas zu saubere Soldatenmäntel (Kostüme: Renate Schmitzer). Seitliches Licht (Johannes Grebing) erzeugt eine düstere Atmosphäre.

Leider bleibt Haags Inszenierung bei einer realistisch-biederen, mit Klischees gewürzten Nacherzählung stehen. Gewiss machen es die Schwächen von Cammeranos Libretto nicht leicht, dessen effektvolle, aber manchmal dürftig motivierte Momente szenisch glaubhaft zu entwickeln. Mitunter sind jedoch die Spannungskurven der Musik gut getroffen.