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Musikverlage geraten ins Straucheln

Kultur / Lesedauer: 4 min

Musikverlage geraten ins Straucheln – Die Einkünfte durch GEMA-Gebühren fehlen
Veröffentlicht:28.02.2021, 19:36

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Eigentlich wollte der Schott-Verlag im letzten Jahr seinen 250-jährigen Geburtstag feiern. Bei einem großen Festakt im Mainzer Staatstheater am 17. Mai hätte das Orchester der Stadt als erstes deutsches Orchester nicht aus gedruckten Noten, sondern aus iPads gespielt. Ein großes Fest für die 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland fiel ebenfalls ins Wasser. Ein breit aufgestellter, moderner, wirtschaftlich gesunder Verlag mit einem Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro (2019) – so alt wie Ludwig van Beethoven , dessen „Missa solemnis“ und 9. Symphonie bei Schott erschien – ist durch die Corona-Pandemie trotz eines drastischen Sparkurses in seiner Existenz bedroht. „Jetzt geht es ums Überleben. Außerdem fehlt Liquidität für Investitionen“, sagt Christiane Albiez, Mitglied der Geschäftsleitung.

Der wichtige Umsatz aus dem Bühnen- und Konzertbereich ging um 80 Prozent zurück. Rund 8000 Bühnen- und Orchesterwerke hat Schott Music in seinem Programm. Werden sie von Theatern oder Orchestern ausgeliehen, ist eine Leihgebühr fällig, die von der Größe der Orchesterbesetzung und von Anzahl und Preis der verkauften Tickets abhängt. Zusätzlich verdient der Verlag an Tantiemen, wenn die gespielten Werke urheberrechtlich geschützt sind, was bei rund zwei Drittel des Verlagsprogramms der Fall ist. Wenige Aufführungen vor wenig Publikum heißt auch wenige Einnahmen. Bei gestreamten Produktionen fällt fast nichts für den Verlag ab.

Wie wenig die über tausend Musikverlage in Deutschland mit ihren rund 2500 Erwerbstätigen und Gesamterlösen von 583 Millionen Euro (2019) auf dem Schirm der Bundesregierung waren, beweist der Umstand, dass sie bei dem im August angekündigten Rettungsprogramm „Neustart Kultur“ zunächst gar nicht vorkamen. Nur aufgrund von Nachverhandlungen konnten noch 2,5 Millionen Euro für die Musikverlage, 10 Millionen Euro für Urheber und vier Millionen Euro für die Digitalisierung aus der Kulturmilliarde gesichert werden. Nur 16 Prozent der durchschnittlichen Verlagseinnahmen werden laut einer aktuellen Studie aus dem Verkauf von Musikalien bestritten. Die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften, vorrangig der GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte), die jeweils im Sommer für das Vorjahr erfolgen, betragen rund 56 Prozent der Gesamteinkünfte.

„2021 wird es für Autorinnen und Autoren sowie für die Musikverlage dramatisch. Die zeitversetzten Ausschüttungen der GEMA werden um ein Vielfaches einbrechen – denn wo nichts aufgeführt wird, keine Musik in Restaurants, Clubs und Diskotheken abgespielt wird und deutlich weniger TV-Sendungen und Kinofilme entstehen, kann auch keine GEMA-Gebühr eingezogen werden. Das werden wir in diesem und auch im folgenden Jahr deutlich spüren“, sagt Birgit Böcher, Geschäftsführerin des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV). Sie hofft, dass es auch dann noch Hilfen der Bundesregierung gibt, um die Branche zu stützen. „Es werden nicht alle Verlage überleben“, prophezeit Böcher. Deren Umsatzeinbußen lagen 2020 zwischen 40 und 60 Prozent. Ab März sei mit den ersten Insolvenzen zu rechnen.

Je spezialisierter ein Verlag ist, desto schwieriger gestaltet sich die Situation. Der Stuttgarter Carus-Verlag ist mit 30 000 Chorwerken weltweit einer der größten Anbieter von Vokalmusik, was in Corona-Zeiten, in denen der Gesang wegen der Aerosolbildung als gefährlich eingestuft wird, zu einem entscheidenden strategischen Nachteil wird.

Der Verlag hat mit seinen 47 Mitarbeitern das schlechteste Geschäftsjahr seit seiner Gründung im Jahr 1972 erlebt. „Insbesondere seit dem zweiten Lockdown kommen kaum noch Bestellungen von Chören“, sagt Johannes Graulich. Der Geschäftsführer macht sich auch langfristig Sorgen um die Chöre und das Laienmusizieren. „Das chorische Singen hat einen hohen kulturellen und gesellschaftlichen Wert.“ Neben all den schlechten Nachrichten aus der Branche gibt es auch einige wenige Corona-Gewinner unter den Musikverlagen.

Das hängt mit dem Boom der häuslichen Kammermusik zusammen. Der erst im letzten Jahr von Sebastian Gabriel gegründete Aurio-Verlag im bayerischen Stadtbergen hat mit seinem Notenabonnement für einzelne Instrumente samt Übevideos und ausführlichen Begleittexten eine Marktlücke gefunden. Das Angebot wird von Musiklehrern und Laienmusikern rege nachgefragt.

Der Münchner Henle-Verlag blickt mit einem Umsatzplus von zehn Prozent gar auf sein bestes Geschäftsjahr zurück. Das Verlagsprogramm besteht aus Urtextausgaben lizenzfreier Komponisten, davon rund 70 Prozent Literatur für Soloklavier. Besonders über den Onlinehandel in den USA hat der Verlag viele Noten verkauft. „In der Krise investiert der Mensch in Werte, in Verlässliches und Vertrautes“, sagt Geschäftsführer Wolf-Dieter Seiffert. „Da sind unsere hochwertigen Notenausgaben offensichtlich ein Produkt, an dem man sich freuen kann.“ GEMA-Ausschüttungen bezieht der auf das sogenannte Papiergeschäft spezialisierte Verlag so gut wie keine. Deshalb schaut Seiffert auch positiv auf das neue Geschäftsjahr, das für seine Kollegen vielleicht noch schmerzhafter wird als das vergangene.