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Kanonisierung

Literaturnobelpreis für Peter Handke

Stockholm / Lesedauer: 5 min

Der Nobelpreis für Peter Handke ist ein Signal für die Literatur
Veröffentlicht:10.10.2019, 18:31

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Vor ein paar Jahren wollte Peter Handke ihn noch abschaffen, jetzt hat er ihn bekommen, den Literaturnobelpreis . Die Auszeichnung bringe mit ihrer „falschen Kanonisierung“ der Literatur nicht viel Gutes. Sie verschaffe „einen Moment der Aufmerksamkeit, sechs Seiten in der Zeitung“, aber für das Lesen bringe sie nichts. Als ihn jetzt der Anruf aus Schweden erreicht hat, sei Handke sehr gerührt gewesen, sagte Anders Olsson, der Vorsitzende des Nobelkomitees. Ungläubig habe der 76-Jährige dann auf Deutsch gefragt: „Ist das wahr?“

Peter Handke ist kein einfacher Zeitgenosse. Jedes falsch gesetzte Komma fasst er als persönlichen Angriff auf. Wenn ihm vor der Drucklegung eines Manuskriptes die Korrekturen nicht passten, schimpfte er den dafür verantwortlichen Mitarbeiter „geistesgestört“ und wetterte, der eigene Verlag habe ihm „die Glaubwürdigkeit seiner Sprache entzogen“. Es kam vor, dass Vorabexemplare für Journalisten nicht verschickt werden konnten, weil der Literat mit seinen Veränderungen am Text kein Ende finden konnte. Ja, Peter Handke kann schon eine echte Diva sein. Aber wer will es diesem Schriftsteller verdenken, der mit jedem Text alles will.

Jetzt also der Literaturnobelpreis. Endlich! Der erste deutschsprachige Preisträger seit Herta Müller 2009. Handke, 1942 in einem kleinen Ort im österreichischen Bundesland Kärnten geboren, ist ebenso streitbar wie umstritten. Stichwort: seine proserbische Haltung im Bosnienkrieg. Bei der Vergabe des Ibsen-Preises in Norwegen wurde er vor einigen Jahren von Bosniern und Albanern wüst beschimpft. Handke stand auf der Seite Serbiens, verurteilte die Nato für ihre Luftschläge und hielt 2006 bei der Beerdigung des jugoslawischen Ex-Diktators Slobodan Milosevic eine Rede. Auch jetzt regte sich sofort Kritik: „Es ist vollkommen unverständlich, warum das Nobelpreiskomitee die intellektuelle Unterstützung für den Völkermord auszeichnet“, sagte Jasna Causevic von der Gesellschaft für bedrohte Völker.

2006 lehnte Handke den Heinrich-Heine-Preis ab, weil die Verleihung an ihn Diskussionen ausgelöst hatte, ob er durch seine proserbische Haltung den Preis überhaupt verdiene. Schon 1996 sorgte sein Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ für heftige Debatten.

Aber dieser Schriftsteller war immer ein Provokateur. Einer, der dagegen war. Gegen alles und jeden. Schon das Wort „Mehrzahl“ ist ein Reizwort für ihn. „Und wie erst Mehrheit!“

Er kann als der erste Popstar der deutschsprachigen Literatur bezeichnet werden. Mit einer Frisur, die deutliche Anklänge an die Beatles verriet, erschien Handke 1966 auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton und tönte, alle hier versammelten Autoren bewiesen eine „Beschreibungsimpotenz“ und würden nichts anderes als „läppische Literatur“ produzieren.

Handke kennt nur das „Ich“. Schon 1972 sprach er es in einem seiner Titel aus: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturmes.“ Zurückgezogen lebt er im Vorort Chaville, nur ab und zu setzt er sich in den Zug nach Paris und kriegt dabei schon mal Ärger mit der Polizei, weil er die Füße aufs Polster legt. Als ob die nichts Besseres zu tun hätten. „Ich geh da sofort auf hundert hinauf!“ Ein Beamter zog sogar die Pistole, wie Handke einmal erzählte. „Da ist viel Frustration bei diesen jungen Typen.“ Dabei hatte der Dichter extra eine Zeitung unter seine dreckigen Schuhe gelegt.

So kennen wir Handke. So lieben wir Handke. Wenn Journalisten anfragten, ob sie ihn zu einem Interview besuchen dürfen, sprach er von „Hausfriedensbruch“. Seit dem Debüt 1966 mit „Die Hornissen“ widmet dieser Einzelgänger sein Leben dem Schreiben. Aus Worten lässt er eine Welt entstehen. Sätze nehmen Gestalt an, werden zu Gestalten. Wie er es seit dem Theaterstück „Kaspar“ (1967) immer wieder getan hat, setzt er die alte, in Österreich in Hugo von Hofmannsthal gipfelnde Tradition der sprachkritischen Literaturlinie fort und führt exemplarisch die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Worten vor. Im Kopf des Dichters entsteht ein Universum. Alles ist wie er es setzt. Könnte aber auch ganz anders sein. Und das schreibt Handke in seinen Texten meistens auch gleich mit dazu, die sich selbst immerzu infrage stellen.

Am Nikolaustag 1942 in Griffen ( Kärnten ) geboren, nachdem seine Mutter sich von einem Soldaten hatte schwängern lassen und dann einen anderen geheiratet hatte, fehlte Peter Handke von Kind an ein Rückhalt. Über den Selbstmord der Mutter schreibt er in „Wunschloses Unglück“ (1972). Schon Ende der 50er Jahre, als er noch in Klagenfurt aufs Gymnasium ging, beschwerte seine Schwester sich über seine schlechte Laune, wenn es mit dem Schreiben mal wieder nicht so lief. Ein paar Jahre später warf Handke zornig den gestandenen Autoren der Gruppe 47 bei ihrem Treffen 1966 in Princeton „Beschreibungsimpotenz“ vor und sorgte mit seiner „Publikumsbeschimpfung“ (1967) in Frankfurt am Main für einen Eklat. Während Schauspieler das Publikum diffamierten, saß er mit Pilzkopf und Sonnenbrille in der Premiere wie ein Popstar.

Schon die Titel seiner Bücher sind Kult. „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ (1969), die von Wim Wenders verfilmte „Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970), „Die linkshändige Frau“ (1976), „Nachmittag eines Schriftstellers“ (1987), „Versuch über die Jukebox“ (1990), „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (1992) und, und, und. Er hat Gedichte, Theaterstücke und Prosa geschrieben. Und in seinem 2010 erschienenem Opus Magnum „Immer noch Sturm“ vereinte er alle Genres miteinander. Immer wieder hat er im Spätwerk sich selbst zitiert. Im Grund hat sich nichts geändert. Handke ist bis heute der ewige Grantler. Jedes Wort stellte er auf den Kopf. Dass ausgerechnet Handke den Nobelpreis erhält, ist nach vielen Jahren, in denen die Entscheidungen der Jury politisch motiviert waren, ein starkes Signal für die Literatur.