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Lasst Mark doch seine Kappe!

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Mark Forster ignoriert auf seinem neuen Album „Liebe“ allen Spott über junge deutsche Popsänger und verbreitet Freude
Veröffentlicht:16.11.2018, 18:50

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Sie haben es dieser Tage nicht leicht, die jungen deutschen Popsänger: Zu seicht seien sie, zu unpolitisch, zu soft, zu langweilig und viel zu nah am Schlager. Immer wieder werden die Herren Mark Forster, Max Giesinger, Wincent Weiss, Andreas Bourani und Co. zur Zielscheibe für den Spott der selbsternannten Gralshüter der Coolness. Doch vor allem im Internet arbeitet sich manch einer, der vielleicht selbst nicht einmal Noten lesen kann, an den Werken der Musiker, ihren Texten oder zumindest ihrem Kleidungsstil ab.

Bei Mark Forster genügt vielen die Tatsache, dass er immer ein Käppi trägt, um loszulästern. Und natürlich bietet auch sein neues Album, das der Pfälzer ausgerechnet mit dem in Liedtexten nicht allzu selten genutzten Wörtchen „Liebe“ ( Sony ) betitelt hat, wieder hinreichend Potenzial für die Kritiker – und viel Futter für die Charts und die Radios. Es sind größtenteils Lieder, die einfach nur gute Laune verbreiten wollen. Auch wenn Hits vom Kaliber „Chöre“ oder auch „Wir sind groß“ dieses Mal fehlen, ein schlechtes Album ist es nicht geworden.

Forster, der auch als Juror des TV-Erfolgsformats „ The Voice of Germany “ ein ums andere Mal seine Schlagfertigkeit beweist, gibt sich unbeeindruckt von all dem Genörgel. Oft genug hat der im pfälzischen Örtchen Winnweiler aufgewachsene Bursche von den zähen Anfängen seiner Laufbahn erzählt. Davon, wie er im großen Berlin orientierungs- und mutlos als Pianist vor sich hin musizierte. Der Studienabbrecher komponierte Jingles für Werbung und TV. Entdeckt wurde Forster während seiner Touren mit dem Berliner Kabarettisten und Entertainer Kurt Krömer. Allerdings hatte Forster damals nur einen kleinen Part: Er trat zwischen den Sketchen als polnischer Pianist auf. Schon damals bewies der Mann Humor, stammt doch seine Mutter tatsächlich aus Polen. Forsters Geburtsname lautet denn auch Mark Cwiertnia.

Seine Stärke sind Gute-Laune-Lieder

Gleich die erste Single „Einmal“ beweist, was der 34-Jährige am besten kann: eine eingängige Melodie mit einem einprägsamen Refrain und entsprechenden Beats zu einem Gute-Laune-Lied zu verweben. Klar ist, dass sich die Lästermäuler bei Worten wie „Freude, Trauer, Liebe, Wahnsinn“ sofort an Jan Böhmermanns Parodie „Menschen, Leben, Tanzen, Welt“ erinnert fühlen. Tatsächlich ist Böhmermanns Nummer witzig, aber Forsters Lied bleibt dennoch gut. Allein die Kinderstimmen im Hintergrund heben den Song über das Mittelmaß hinaus: Aufgenommen hat Forster die Chorgesänge des African‘s Children‘s Choir übrigens vor Ort in Uganda. Besonders geglückt ist das launige Duett „Danke Danke“ mit dem Rapper Sido. Mit dem früheren Maskenträger aus Berlin ist Forster seit Jahren befreundet.

Doch nicht alles ist auf Hit gebürstet. Wenn er in „Liebe“ vom „Ring aus Plastik“ singt und sich an Tage im Garten seines Onkels erinnert, dann hat das durchaus Charme. Auch persönlich darf es werden. In „Was du nicht tust“ wird sogar das Scheitern des jugendlichen Mark beim Fußball oder auf dem Weinfest thematisiert. Da dürfen dann die Kinderstimmen aus Uganda ruhig Optimismus verbreiten und ein aufmunterndes „It’s Never Too Late“ dazu singen. Auf „Nimmerland“ wagt er eine Prise modernen R&B und träumt davon, Captain Hook zu sein. Dass er musikalisch auch ganz anders kann, beweist Forster ebenfalls – mit dem ruhigen, nachdenklichen „Genau wie du“. Es ist eine sehr persönliche, zur akustischen Gitarre gesungene Hommage an seinen Vater. Hier fehlen die ansonsten üblichen Beats komplett, stattdessen fügen sich die Streicher elegant ein.

„Ich glaube, man kann jeden Text von mir ziemlich gut verstehen. Aber ich bin noch etwas erzählerischer geworden“, sagt Forster über sein viertes Album. Auch sei „Liebe“ nicht so „quietschig“ wie der enorm erfolgreiche Vorgänger „Tape“, der sich seit 2016 gut 400 000-mal verkauft hat und mit Doppel-Platin ausgezeichnet wurde. Die persönlichen Töne hätten aber auch einen großen Nachteil. Die Leute, über die er singt, würden sich angesprochen fühlen. „Das kann auch zu peinlichen Situationen führen, wenn das Gegenüber weiß, was ich denke. Es gab bei dem Album wirklich Songs, bei denen ich diskutieren musste, ob ich sie überhaupt veröffentlichen darf oder nicht“, sagt Forster.

Für alle, denen das weiterhin zu seicht, zu unpolitisch, zu soft, zu langweilig und viel zu nah am Schlager ist, gibt es eine Vielzahl an Alternativen in Sachen deutschem Liedgut. Er oder sie kann beispielsweise zum neuen Werk der noch immer musizierenden Schmusepopper Pur greifen oder zum mittlerweile 15. Album von Herbert Grönemeyer. Der zum Weltbürger mutierte Bochumer wird in allen Feuilletons der Republik mit Lob überschüttet und teilweise gar „als Chronist deutscher Befindlichkeiten“ („Neue Osnabrücker Zeitung“) gefeiert. Dabei formuliert der 62-Jährige vorhersehbarer und staatstragender als Baden-Württembergs nur unwesentlich älterer Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Grönemeyer singt sogar ein paar Zeilen Text auf Türkisch. Kein Wunder, dass die jungen Menschen keine Flugzeuge mehr im Bauch haben, wenn „Tumult“ versprochen wird.

Oberlehrer Heinz-Rudolf Kunze hat 2016 sogar ein Cover-Album namens „Meisterwerke“ veröffentlicht, auf dem er unter anderem Freddy Quinns „Junge, komm bald wieder“ und „Haus der Lüge“ von den Einstürzenden Neubauten nachsingt. Zudem wird es gewiss demnächst auch wieder ein neues Werk vom in der Tat unverwüstlichen Udo Lindenberg geben. Dass es vielleicht nur der x-te Neuaufguss des Immergleichen ist? Oder eine akustische Version davon? Geschenkt. Er darf das. Bei Lindenberg, dem großen Alten des Deutschrocks, finden übrigens alle den unausweichlichen Hut extrem cool. Dann lasst doch dem Mark seine Kappe! Und die Chöre singen ohnehin nur für jene, die sie hören wollen.