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Dramatik

Krasch, Klischees und überdrehte Dramatik am Münchner Residenztheater

München / Lesedauer: 4 min

Antonio Latella vermengt in München Sex, Crime und Italo-Trivia zu einem unausgegorenen Theaterabend.
Veröffentlicht:24.03.2019, 18:43

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Es dauert gerade mal eine Viertelstunde, da gibt es die ersten Buhrufe, flankiert von ostentativem Beifall. Etliche Zuschauer verlassen die Premiere von „Eine göttliche Komödie Dante < > Pasolini“ im Münchner Residenztheater . Das wiederholt sich in den 100 Minuten der Aufführung noch einmal.

Man wundert sich. Was ist hier so provokant? Nacktheit auf der Bühne – kennt man zur Genüge. Sex und Gewalt – auch nichts Neues und in ihrer Darstellung im Theater immer per se mit einem Verfremdungseffekt versehen, als sei es Schattenboxen. Doch hier passiert es Männern. Sie werden geprügelt, getreten, vergewaltigt. Eigentlich nur ein Mann: Pier Paolo Pasolini, Lehrer, Dichter, Intellektueller, Filmemacher, Kommunist, Homosexueller. 33-mal wurde er angeklagt, wegen Obszönität, aber auch wegen Vergehen im Straßenverkehr. Verurteilt wurde er nie. 1975 wurde Pasolini in einer Orgie der Gewalt am Strand von Ostia ermordet. Der Stricher Pino Pelosi gestand den Mord und widerrief viel später. Seine (Allein-)Schuld ist mehr als fraglich. Die Mafia soll eine Rolle gespielt haben, Rechtsradikale ebenso. Die Polizei hat schlampig gearbeitet. Das Verbrechen wurde nie wirklich aufgeklärt.

In „Petrolio“, Pasolinis unveröffentlicht gebliebenem Enthüllungsroman über die italienische Erdölindustrie und den Mord an ihrem Spitzenmanager, streiten Gott (Polis) und Teufel (Thetis) sich um den toten Carlo, der am Boden liegt wie Pasolini tot am Strand von Ostia. Thetis schneidet aus dem Toten heraus, was Polis nicht haben will, und so stehen da plötzlich zwei identische Carlos. Dieses Motiv diente dem italienischen Regisseur Antonio Latella , der regelmäßig in Deutschland, Österreich und der Schweiz inszeniert, als Inspiration für seine theatrale Aufarbeitung des Mordes an Pasolini.

Latella bietet verschiedene denkbare Szenarien des Verbrechens an: Zuerst ist es nur ein aus dem Ruder gelaufenes Sexgeschäft zwischen Pasolini und Pelosi. Der Dichter bedrängt den Jungen einmal zu viel, der schlägt zu. In der nächsten Runde steigen zwei Täter aus dem Alfa Romeo GT 2000 (außer einer Telefonzelle der einzige Gegenstand auf der Bühne von Giuseppe Stellato), dann drei und schließlich quellen fünf aus dem Wagen, schlagen und treten in einer Art Overkill auf Pasolini ein. Graziella Pepe hat alle in die gleichen Jeans, Hemden, Unterhemden und braunen Lederjacken gesteckt. Es ist, als würden sie rufen: Wir sind Pasolini! Doch es gibt nur einen Pasolini (Tim Werths), der in dieser Spirale der Gewalt immer wieder die eigene Ermordung erlebt und am Boden liegend aufzuckt, wenn irgendwo ein Schlag geführt wird, was ziemlich an „Fight Club“ erinnert (Choreografie: Francesco Manetti). Die Höllenfahrt des Pier Paolo Pasolini nimmt ihren Lauf.

Anarchisches Industrial-Musical

Nach jeder Mordszene wird „zurückgespult“, was den Schauspielern Gelegenheit für slapstickhafte Zeitlupenelemente gibt, über die das Publikum gerne lacht. Genauso wie über den Mafiosi-Gesten-Dialog von Gunther Eckes und Philip Dechamps, der in eine Art Gebärdensprache mündet. Die zwei sind eigentlich Polizisten und ziehen wie Trabanten des Geschehens weite Kreise auf der bis zur Brandmauer offenen Bühne. Derweil stimmt Franz Pätzold mit schwarzer Federboa als Beatrice-/Mutterprojektion den Italohit „Volare“ an und radebrecht schrecklich italienisch. Das Italienische klingt bei Nils Strunk schon wesentlich echter, und einen Augenblick scheint der Abend in ein anarchisches Industrial-Musical zu kippen, als Strunk zum Mikro greift und einen Song anstimmt. Der mündet in eine Audiohölle mit zuckenden Blitzen, alle sind nackt und es regnet, schließlich sind wir im Fegefeuer angelangt. Dort trifft Pasolini seine Mutter, seine Schuldgefühle, den Bruder, den Vater, wird gepackt und um die Bühne geführt.

Doch Latella hat den Moment verpasst, seine Ideensammlung aus choreografischen und Filmelementen zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzukomponieren. Solange nur einzelne Sätze wie Felsbrocken in das fulminante Körpertheater hineinfallen, funktioniert die Annäherung an Pasolinis Leben, gerade in seiner drastischen gespielten Gewalt. Doch gelingt es dem Regisseur nicht, Federico Bellinis Textmontage aus Dantes „Göttlicher Komödie“ und ihren Umschreibungen durch Pasolini einen Stellenwert jenseits von Aufsagerei zuzuweisen. Auch wenn Franz Pätzold sehr schön deklamiert. Die Worte versanden in Krach, Klischees und überdrehter Dramatik. Das ist schade, ein Theaterskandal ist das aber nicht.