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Ravensburg

Konzert: Alexander Melnikov und das Münchener Kammerorchester

Ravensburg / Lesedauer: 3 min

Münchener Kammerorchester mit Alexander Melnikov mit ungewöhnlichem Programm in Ravensburg
Veröffentlicht:17.10.2019, 17:51

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Das Münchener Kammerorchester (MKO) überrascht jedes Mal mit seinem Programm. Moderne und Zeitgenössisches in engem Dialog, wohl durchdacht und zum Mitdenken einladend.

Das soll barocke Musik sein? Man möchte es kaum glauben, dass „Le Cahos“, das erste Stück, das an diesem Abend im Ravensburger Konzerthaus erklingt, in den Jahren 1737 entstanden ist. Aber es ist eben das Chaos eines noch ungeordneten Universums, das Jean-Féry Rebel , einer der Hofkomponisten Ludwig XIV., zu Beginn seiner Suite „Les Éléments“ in dramatischer Dichte beschreibt, mit grellen Piccoloflöten und schnarrenden Streichertönen, eine Kakophonie. Barocke Symmetrie und Ordnung stellen sich erst zum Ende der sieben Minuten dauernden Komposition ein. Jedoch: Vivaldis „Jahreszeiten“ wurden 1725 publiziert, und ist nicht „Der Winter“ ähnlich affektgeladen?

Ohne Pause schließt Clemens Schuldt, seit 2018 Chefdirigent des MKO, darauf „Elongation of Nights“ der 1982 geborenen lettischen Komponistin Justé Janulyté an. Sie setzt auf die perkussive Qualität fast tonloser Streicher und kontrastiert sphärisches Geflirre mit durchgehenden Basstönen. Es ist, als würde sich eine Naturgewalt in der Ferne entwickeln und immer näher kommen, bis sie stufenweise im Unhörbaren verebbt.

Die nötige Umbaupause ließ auch dem Gemüt Zeit, sich auf das folgende Klavierkonzert von Clara Schumann einzustellen. Der Solist Alexander Melnikov schien zu Beginn des ersten Satzes dieses Jugendwerks - mit 14 Jahren begonnen und mit 16 Jahren vollendet - noch etwas mit der Trennschärfe zu kämpfen, aber das Orchester bereitete ihm ein so üppiges Klangbett, dass spätestens im zweiten Satz, der „Romanze“ für Solocello und Klavier, sich alles prächtig entwickelte. Nach einer erfrischend klaren Einleitung verband sich das Piano aufs Schönste mit dem wunderbaren Cello von Bridget MacRae, seit 2003 Solocellistin beim MKO, in diesem einmaligen Stück „Kammermusik“. Und Melnikov dankte es ihr mit einem faszinierend subtilen Anschlag und musikalischer Differenzierung. Der lange dritte Satz, mehr einer Fantasie ähnelnd, in den die Klaviervirtuosin Clara sich gleichsam alles hinein schreibt, was sie kann, überzeugte in seiner vom Orchester wie vom Klavier musikalisch durchdrungenen Interpretation.

Spannende Kontraste

Kontraste auch im zweiten Teil: „Terra pinguis (für Arthur)“ des 1974 geborenen Johannes Maria Staud, ein Auftragswerk, ließ halb schaurige Atmosphäre mit pustenden, grummelnden Fagotten, vollmundigen Klarinetten und zwitschernden Oboen entstehen. Kleine melodische Sequenzen haben gegen die Kakophonie der raue Laute ausstoßenden Instrumentalisten kaum Gewicht. Der anwesende Komponist war über den Beifall des Publikums sichtlich erfreut.

Und danach noch Schuberts „Unvollendete“? Ja, nochmals ja – wenn sie in derartiger Vollendung gespielt wird! So wunderbar gesanglich, so fein gesteigert in den Streicherspiralen, durchpulst von den Bläsern, mit subtil aufgebauten Volumina, selbst an der Basstongrenze tief durchdrungen von Klanggestalt – das ist nur von solchen Könnern zu haben. Ein beglückender Abend.