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Kinokritik: „I, Tonya“

Kultur / Lesedauer: 3 min

„I, Tonya“ – Der Skandal des amerikanischen Spitzensports als irrwitzige Satire
Veröffentlicht:21.03.2018, 18:44

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Ravensburg - Wie wäre die Tonya-Harding/Nancy-Kerrigan-Affäre wohl erst hochgekocht, wenn es 1994 schon soziale Medien gegeben hätte? Man mag es sich nicht ausmalen. Denn die Aufregung nach dem Anschlag auf die Eiskunstläuferin war so schon groß genug. Nun erzählt Regisseur Craig Gillespie diese unglaubliche Geschichte als Satire – ein Kniff, der aufgeht.

Im Januar 1994, und somit nur wenige Wochen vor den Olympischen Winterspielen in Lillehammer, wurde während des Trainings zur US-amerikanischen Meisterschaft ein Eisenstangen-Attentat auf Hardings Konkurrentin Nancy Kerrigan verübt. Soviel ist klar. Zum Rest des Geschehens und der Rolle von Harding in dem Komplott gibt es dagegen jede Menge unterschiedliche und höchst widersprüchliche Aussagen.

Regisseur Gillespie („Lars und die Frauen“) macht aus den verworrenen Erinnerungen eine Tugend und blendet gleich zu Beginn ein, die folgenden zwei Filmstunden basierten auf „ironiefreien, wild widersprüchlichen, absolut wahren“ Interviews mit Tonya Harding und ihrem Ex-Ehemann Jeff Gillooly. Diese beiden werden dann auch scheinbar gleich vor die Kamera geholt und kommentieren das Geschehen fortlaufend. Aber tatsächlich sind es Margot Robbie und Sebastian Stan, die ihre Rollen sehr überzeugend spielen.

So wird von Anfang an der ironische Tonfall einer „Mockumentary“ – also einer nur vorgeblich authentischen Dokumentation – angeschlagen und konsequent durchgehalten. Dem Irrwitz der Geschichte und der teils atemberaubenden Dummheit der beteiligten Figuren wird dies durchaus gerecht. Der fortlaufende physische wie psychische Missbrauch von Harding wird dagegen durch die amüsant-flotte Erzählweise potenziell verharmlost.

Denn Tonya wächst in einem Umfeld auf, das gerne abwertend als „white trash“ bezeichnet wird. Der Vater bringt der kleinen Tonya noch das Schießen bei, bevor er sich aus dem Staub macht. Die kettenrauchende Mutter kippt sich in so ziemlich jedes Getränk einen Schuss aus ihrem Flachmann. Darüber hinaus verfolgt sie das Motto „hart gegen sich, brutal gegen andere“ und trimmt die Tochter beim Eislaufen auf absolute Leistung. Allison Janney hat für die Darstellung dieses Muttermonsters völlig verdient einen Oscar bekommen und reißt jede Szene, in der sie auftritt, an sich.

Tonya reagiert darauf mit enormem Ehrgeiz auf dem Eisplatz. Außerhalb davon heiratet sie den ersten Typen, der ihr sagt, dass sie hübsch sei, wie die Mutter lakonisch bei der Hochzeit anmerkt. Jeff ist ein Versager und reagiert auf den zunehmenden Erfolg von seiner Frau mit Prügeln, wobei diese auch oft genug zurückschlägt.

Der Film macht sich über dieses Umfeld aber nicht nur lustig, sondern zeigt auch die daraus resultierenden Klassengegensätze auf: Beim amerikanischen Eiskunstlauf will man ein anderes, feineres Bild in der Öffentlichkeit vermitteln. Und wenn ein ungeschliffener Emporkömmling wie Harding als erste Frau einen dreifachen Axel im Kurzprogramm absolviert, dann gibt es immer noch die B-Note, um sie auf ihren Platz zu verweisen. Dass Tonya darüber hinaus auf selbstgenähte Kostüme setzt, die selbst für späte 80er-Jahre-Nostalgiker grauenhaft aussehen, hilft nicht gerade – auch wenn ihre Wahl von ZZ Top als Musikbegleitung für die Performance schon fast wieder Klasse hat.

Bezeichnend für „I, Tonya“ ist, dass Kerrigan hier nur ganz am Rande auftaucht. Dies ist Hardings Film, und dieser könnte auch ein Stück weit zu ihrer Rehabilitierung beitragen. Schließlich zeigt er nicht nur ihre Schwächen, sondern auch ihr mehr als schwieriges Umfeld auf – vor allem aber ihre Kämpfernatur, die sich selbst von der allgemeinen Verachtung nach dem Attentat nicht zu Boden ringen lässt. Stattdessen steigt sie danach eben als Boxerin in den Ring – eine weitere Wendung des Films, die man für sehr unglaubwürdig halten würde, wenn die reale Harding es nicht tatsächlich ebenso gemacht hätte.