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Volkstheater

In München steht ein neues Volkstheater

München / Lesedauer: 5 min

Der Neubau fügt sich fabelhaft ins Münchner Schlachthofviertel ein – Christian Stückl macht dort modernes Theater für ein junges Publikum
Veröffentlicht:19.10.2021, 18:05

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Die Landeshauptstadt befindet sich im kulturellen Glückstaumel. Innerhalb eines Monats konnte OB Dieter Reiter gleich drei städtische Neubauten für die Kultur eröffnen: das Schwere Reiter mit roher Stahlarchitektur für die freie Szene, den Interim-Gasteig HP8 mit der staunenswert perfekten Isarphilharmonie, und nun am Wochenende das Münchner Volkstheater. Drei Kulturbauten auf einmal, das ist sensationell, zumal es heutzutage unglaublich anmutet, wenn eine Stadt ein neues Theater baut.

Zu verdanken ist das Christian Stückl , dem Theatermann aus Leidenschaft, der im Herbst 2002 Intendant des Volkstheaters wurde. Damals wurde es von einer Münchner Zeitung als ungeliebtes Kind der Stadt bezeichnet. Nach der erfolgreichen Intendanz von Ruth Drexel hatte Regisseur Hanns Christian Müller („Kehraus“) glücklos versucht, das Theater am Stiglmaierplatz fortzuführen. Im Münchner Stadtrat wurden Stimmen laut, es ganz zu schließen. Diese Stimmen setzten sich nicht durch.

Christian Stückl gelang mit der ihm eigenen Begeisterung und niedrigem Budget ein kleines Wunder. Mit einem Spielplan, der ganz und gar nicht tümlich war und jungen Talenten in Regie und Schauspiel zog die an, um die sich andere Theater vergeblich bemühen: das junge Publikum. Mit dem Festival „Radikal jung“ zeigt das Volkstheater Entwicklungen im deutschsprachigen Theaterraum. Die eigenen Produktionen sind modern und oft politisch unterfüttert – ohne dezidiert in die Experimentierecke zu schielen. Hier geht es nicht bildungsbürgerlich abgehoben zu. Und: So viel echte Tracht wie im Volkstheater sieht man in München selten. Das liegt an der engen Bindung des Oberammergauers Stückl zu seinem Heimatort. Der Volkstheater-Intendant leitet auch die Passionsspiele und hat dort seit 1990 ordentlich modernisiert.

Modern in bestem Sinne ist auch der neue Theaterbau, der für 131 Millionen Euro im Schlachthofviertel auf dem ehemaligen Viehhofgelände entstand, was ziemlich gut zu diesem geerdeten Theater passt. Größer, schöner, bunter als das alte Theater steht der Neubau da. Dass er auch anders hätte aussehen können, merkt der Stuttgarter Architekt Arno Lederer bei der Eröffnung in schelmisch drohendem Ton an: Von Schönheit habe in der 1000-seitigen Leistungsbeschreibung nämlich gestanden. Sie ist das Geschenk der Architekten.

Schier unglaublich ist, dass die Kosten das Budget nicht sprengten. Den Bau als Generalunternehmer realisiert hat die Firma Reisch aus Bad Saulgau. Der Bau fügt sich in die Struktur des Schlachthofviertels ein, indem er die dortige Ziegelbauweise aufnimmt und die Altbauten integriert. Und über allem erhebt sich strahlend weiß der hohe Bühnenturm, der wie von einer Membran überzogen ist und aus einem metallenen Kranzgeflecht herauszuwachsen scheint.

Runde Ecken und bogenförmige Öffnungen bestimmen den Baustil. Der sechs Meter hohen Torbogen-Eingang öffnet sich weit ins Viertel und bildet den Eingang zu Gastronomie und Biergarten. Innen wird es bunt. Hellgelb, Dunkelblau, Dunkelrot und vor allem ein Ton zwischen Türkis und Hellblau beherrschen Foyers und Treppenaufgänge, in denen sich die geschwungenen Formen fortsetzen. Das Theater hat nun drei Bühnen mit 600, 200 und 100 Plätzen. Attraktion sind die strahlenden Lampen-Augen aus ganz normalen Tonblumentöpfen an den Seitenwänden des großen Zuschauerraums.

Auch Christian Stückl strahlt bei der Eröffnung, bei der er statt des gewohnten Jankers ein Jackett trägt. Eigentlich ist er schon seit drei Tagen sprachlos, sagt er, muss dann aber doch noch loswerden, wie das war, als die Sanierung des alten Volkstheaters anstand. Das Gebäude gehört dem Fußballbund. Da meinte Stückl zu den Verantwortlichen der Stadt: „Ihr könnts doch net 50 Millionen in ein Haus stecken, das euch nicht gehört und das dann immer noch kein Theater ist.“ Und für das man weiter hätte Miete zahlen müssen.

Als am Eröffnungsabend der Knopf für den Bühnenvorhang gefunden ist, überlässt Stückl das Publikums seiner Einstandsinzenierung von „Edward II.“ Damit macht er es sich nicht leicht, ist das Königsdrama von Christopher Marlowe doch lange nicht so süffig wie die Stücke Shakespeares, die Stückl sonst gerne inszeniert. Edward II. bringt Peers und Kirche gegen sich auf, indem er seinen Liebhaber Gaveston aus der Verbannung zurückholt und ihn mit Ämtern, Titeln und Geld überhäuft. Stückl konzentriert sich auf wenige Figuren und die Kritik an der Homophobie der Kirche.

Am zweiten Abend beschäftigt Jessica Glauses „Unser Fleisch, unser Blut“ sich mit der direkten Umgebung des Theaters und untersucht die Produktionskette von Fleisch vom Bauern bis zum Koch. In diesem Fast-Musical mit starken Gesangs- und Choreografielementen (Musik: Joe Masi) kommen auch eher unbekannte Aspekte von Tierschlachtung. Das dokumentarische Stück zeigt auf, ergreift aber keine Partei.

Im Musical „Gymnasium“ von Bonn Park am dritten Abend wird dann ausgiebig Partei ergriffen. Jeder für sich und alle gegen die Vernunft. Damit ist dieses dystopische Highschool-Apokalypse-Musical mit dem üblichen Personal ein Spiegelbild unserer Zeit, in der in Filterblasen hervorragend unbelastet von Tatsachen die eigenen verqueren Wunschvorstellungen gedeihen. Wenn es nach diesem euphorischen Anfang im Münchner Volkstheater so weitergeht, dann wird alles gut.