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Federboa

Essay: Was fasziniert immer noch an den Goldenen 20er-Jahren

Kultur / Lesedauer: 5 min

Goldene Zwanziger und Weimarer Verhältnisse:Eine Betrachtung aus aktuellem Anlass
Veröffentlicht:25.01.2020, 07:00

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Federboa und Bubikopf, nackte Busen und Schaftstiefel, Glitter, Flitter, aber auch Blutmai und Schwarzer Freitag: Die Weimarer Republik hat uns zurück. Nicht nur, dass man zum Dekadenwechsel in den Feuilletons fragte, ob „wir“ nun wieder „Goldene Zwanziger“ vor uns hätten, gleich gefolgt von den üblichen Mahnungen, man möge doch ja das Ende dieser Epoche bedenken. Nun jubelt die „Zeit“: „Die Zwanziger Jahre sind wieder da.“

Zugleich mehren sich die rhetorischen Fragen, ob sich die Bundesrepublik denn wohl wieder „Weimarer Verhältnissen“ nähere. Der Begriff steht für Unregierbarkeit, soziale Krise, Aufstieg der Extremisten, den Verfall demokratischer Tugenden und eine Demokratie ohne Demokraten. Manches, vor allem die zunehmende Aggressivität des aktuellen politischen Diskurses, mag diesen Befund stützen. Anderes widerspricht dem – der Konsens der Demokraten und die vergleichsweise paradiesische wirtschaftliche Lage.

Was in der Formel von den „Weimarer Verhältnissen“ aber eigentlich aufscheint, ist das, was die Psychoanalyse als „Angstlust“ bezeichnet: Der unterbewusste Flirt mit dem, was man fürchtet. Menschen schwindelt es am Abgrund nicht, weil sie Angst haben hinabzustürzen, sondern weil sie Angst haben vor der Lust hinabzuspringen. Das heißt übertragen: Bei aller Furcht gibt es gerade in wohltemperierten Zeiten auch ein Fasziniertsein vom Chaos. Das könnte die geheime Sehnsucht nach „Weimarer Verhältnissen“ erklären. Es scheint diese Sehnsucht zu sein, die der Fernsehserie „Babylon Berlin “ einen solchen Erfolg beschieden hat.

Aber was ist überhaupt „die“ Weimarer Republik? Und was zeigen wir von ihr? Welche Bilder drängen sich nach vorn, welche wollen wir nicht sehen?

Die Weimarer Republik hat mindestens zwei Gesichter. Natürlich sind da die entsetzlichen Folgen des Ersten Weltkriegs , Militarismus und überlebende Untertanen-Haltung der Klassengesellschaft, die in den Freikorps-Verbänden, den Hunderten politischen Morden und in der autoritären Gesinnung vieler Deutscher fortwirkten. Dazu kamen Not, Hunger und Inflation, verstärkt noch durch die Belastungen des Versailler Vertrags. Da ist auch die nicht rundum geglückte Gründung der Republik. Mitte der Zwanziger schien sich der Staat zu fassen, doch dann kam die Weltwirtschaftskrise. Und die Nazis, die noch 1929 eine Splitterpartei waren, triumphierten gut drei Jahre später.

Die Weimarer Epoche war aber auch eine ungemein moderne, fortschrittliche Zeit: politisch mit Frauengleichstellung, Achtstundentag und fortschrittlichen Sozialgesetzen; gesellschaftlich mit ihrer Lust nach Urbanität und Modernität, einem neuen Verhältnis zu Sexualität und Moral, dem Geist der Reformbewegungen, dem allgemeinen Aufbruch einer vom Druck der Väter befreiten Jugend; künstlerisch durch den Aufbruch der Avantgarde: von Expressionismus bis zu Neuer Sachlichkeit, vom Bauhaus bis zum Kino, das in aller Welt bewundert wurde – eine spannende Zeit für Kunst und Kultur.

Zentrum von alldem war die Hauptstadt Berlin. Eine moderne Metropole, die die Filmregisseure schon damals zum brodelnden Babylon überhöhten. Fritz Lang in „Metropolis“ und noch mehr Walter Ruttmann in seinem Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (beide 1927) verbinden den Bewegungsrhythmus der Stadt – Fließbänder, Schnellrestaurants, öffentliche Verkehrsmittel – zu einer tollkühn montierten Feier der Lebendigkeit. Atemlos und von sich selbst begeistert.

„ Weimar “ das war immer auch Mythos. Die Selbstfeier eines jungen, progressiven Deutschland. „Arm aber sexy“ galt auch damals, vermischte sich mit dem amerikanischen Börsenrausch der „Golden Twenties“. Die aktuelle Serie „Babylon Berlin“ strickt weiter an diesem Mythos, der schon im deutschen Kino der 1950er-Jahre gelegt und in „Cabaret“ (1972), Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ (1980) oder Gremms „Fabian“ (1980) fortgesetzt wurde.

Zugleich wurde diese „helle Seite“ der Weimarer Republik nach dem Grauen von Diktatur, Zweitem Weltkrieg und Völkermord im kollektiven Bewusstsein der Deutschen abgespalten. Die Erinnerung an sie war reduziert auf eine Vorgeschichte zur NS-Diktatur. Für die „roten Preußen“ (Wolfgang Venohr) der DDR war Weimar nur „bürgerliches Scheitern“ und SPD-Versagen. Und in Adenauers Bundesrepublik galt das geflügelte Wort „Bonn ist nicht Weimar“. Das geglückte Bestreben einer erfolgreichen Demokratie ist sympathisch. Aber mit den Fehlern der Weimarer Verfassung wurde auch ein Großteil der Avantgarde, wurde die Bauhaus-Moderne, der Aufbruch der Jugend und die Befreiung der Frauen verabschiedet: Zurück blieb in den 1950ern ein kleinbürgerliches Deutschland zwischen Nierentisch und Schwarzwaldmädel. Erst der neue Wirtschaftswunderwohlstand, der Einfluss der westlichen Popkultur und die Revolte von 1968 öffneten Deutschland wieder zur Moderne. Das Verdrängte war zurück.

Nun scheint auch die „schwarze Seite“ Weimars wieder aktueller zu werden. Aber die Rede von den „Weimarer Verhältnissen“ ist nicht nur ungenau. Etwa wenn in „Babylon Berlin“ die Kommunisten mit den Nazis gleichgestellt werden, und wenn die Serie sich vor allem in den „sündigen“, exzessiven Aspekten der Weimarer Kultur in Sex, Drogen, Cabaret suhlt. Dies wertet auch Strömungen, Ideen und Verhaltensweisen auf, aus denen keine Gesellschaft zu machen ist. Hier wird nur der „Tanz auf dem Vulkan“ gefeiert – und verklärt.

Was man von Weimar stattdessen lernen könnte, ist vielleicht etwas ganz anderes: Der Rausch der Jugendbewegung, Expressionismus und Konstruktivismus, Kommunismus und Nationalismus, die Gewaltbereitschaft der rechten Freikorps und der linken Politkommissare, der Saalschläger der Nazis – das alles stammt genau genommen aus dem 19. Jahrhundert. Hitlers kruder Zaubertrank aus Rassismus, Judenhass und Sozialismus wurde bereits 1933 als Anachronismus wahrgenommen, als „politische Religion“.

Weimar selbst steht weit eher für die Ironie von Dada, die Coolness der Neuen Sachlichkeit und ihre politische Übersetzung in die pragmatische Politik von Ebert und Wirth bis Stresemann und sogar Brüning. Der Kulturwissenschaftler Helmut Lethen hat dies „Verhaltenslehren der Kälte“ genannt. Es sind schmerzhafte Lernprozesse nach dem Weltkrieg. Auch an sie könnte erinnern, wer in Weimar Rausch und schönen Untergang finden will.