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Rundgang

Ein Rundgang über die 70. Frankfurter Buchmesse

Frankfurt / Lesedauer: 4 min

Was neu ist in Frankfurt: Ein Rundgang über die 70. Buchmesse
Veröffentlicht:11.10.2018, 17:52

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Wer spricht von Lesen? Hier trifft man die Stars, verspricht die Messegesellschaft: Otto Waalkes, Tim Mälzer , Harald Glööckler. Da stapelt sie aber tief. Man kann auf nüchternen Magen schon den Bundespräsidenten treffen. Frank-Walter Steinmeier hat den neuen Pavillon eingeweiht, der zum Wahrzeichen der Messe werden soll: ein demontierbarer Vortragssaal für 400 Personen, eine spannungsreiche und luftig-leichte Holzkonstruktion, über die eine weiße PVC-Haut gezogen ist. Geplant hat sie das Büro Schneider&Schumacher, dem Frankfurt schon das schönste Hochhaus am Hafen und die spektakuläre Erweiterung des Städel-Museums verdankt.

Herumgesprochen hat sich der Neubau am ersten Messetag noch nicht. Wer von der Stadtseite zur Messe geht, läuft drauf zu. Der große Platz in der Mitte des Geländes, auf dem erschöpfte Besucher frische Luft schnappen und in der Sonne sitzen können, heißt etwas hochtrabend „Agora“, nach den Marktplätzen im antiken Griechenland. Da steht der neue Veranstaltungsort, der ganz offiziell „Frankfurter Pavi-lion“ heißt, umrahmt von Suppenküchen, Woks und Wildbratwurst. Aber wer von der anderen Seite kommt, wo die S-Bahn vorfährt, tut sich schwer. Hostessen, Ordner und Fahrer der Shuttlebusse schütteln beim Wort Pavillon nur den Kopf. Bis man doch auf einen Frankfurter unter ihnen trifft. Der weiß Bescheid: „Ach, Sie meene den Angora.“ Genau, im „Angora“ hat der Bundespräsident die 70. Buchmesse eröffnet.

Gastland Georgien

Georgien wird als eines der engagiertesten Gastländer in die Messegeschichte eingehen. Es nützt die Messe als Fenster für seine Bewerbung zur Aufnahme in die Europäische Union. Alles wurde bestens organisiert: 150 Bücher übersetzt, 70 deutsche Verlage haben sie im Programm und ebenso viele georgische Autoren werden sich vorstellen. Der Ehrengastpavillon ist liebevoll gestaltet mit hölzernen Installationen von den 33 Buchstaben des georgischen Alphabets. Zum Eröffnungstag fanden sich hier noch kaum Besucher, dafür umso mehr Georgier, die ihre Kraftanstrengung und die ihrer deutschen Partner bewunderten. Die neuen Bücher sind in schneckenförmig angeordneten Bibliotheken aufgereiht. Eine Schnecke steht im Gastlandpavillon, eine zweite auf dem Messestand Georgiens. Den gibt es auch noch.

Hohe Messlatten

Der Ravensburger Verlag hat die Messlatte hochgelegt. Auf seinem Stand ist ein Metermaß aufgestellt, das in Regionen, wo die Lesebrille nicht mehr hinreicht, den größten Mann und die kleinste Frau markiert. Dazu eine Aufforderung an die kleinen Besucher, sich dazwischen selbst zu verorten. Am ersten Messetag war der Andrang auch hier überschaubar, aber die Besucherströme kommen erst am Wochenende.

Auf dem Weg zu diesem Stand kann man dem Irrtum erliegen, schon in Oberschwaben angekommen zu sein, während man erst in Hamburg abhängt. Eine Fahne, wie sie Brauereien als Werbemittel nutzen, markiert den „Spiegel“. Das Magazin verteilt eifrig sein neues Heft und hat Martin Walser als Stand-markierung ausgeflaggt, den größten Alemannen unter den Oberschwaben. Von Weitem zu erkennen, überlebensgroß, mit seinen bewährten Abzeichen: schwarzer Hut, schwarzer Mantel, die starken Augenbrauen, der See als allegorisches Beiwerk im Hintergrund. Die junge Frau an seiner Seite, natürlich kleiner, hat den anhimmelnden Augenaufschlag einer Madonna des schönen Stils und ist eine dralle „Spiegel“-Redakteurin, die ihm die Frage ihres Lebens stellt: „Herr Walser, glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“

Afrikas Potenzial

Der Buchmarkt scheint saturiert, wie leicht rückläufige Umsatzzahlen des Deutschen Börsenvereins zeigen. Unausgeschöpftes Potenzial hat Afrika. Dieses Jahr sind 34 Aussteller aus 19 afrikanischen Ländern auf der Messe. Sie schiebt die Vernetzung dieser Verlage an, damit Autoren, die auf Französisch, Englisch und in afrikanischen Sprachen schreiben, eine gemeinsame Bühne bekommen. Und übersetzt werden. Damit finden sie dann auch international mehr Aufmerksamkeit. Das hat die Messe schon 1980 angestoßen und internationale Organisationen mit den Verlagen zusammengebracht, um das Profil des Kontinents auf dem Buchmarkt zu schärfen.

So rot, so grün

Kriminalromane sind der Renner im Buchmarkt. Der Silberburg-Verlag im romantischen Bebenhausen bei Tübingen führt ein ganzes Sortiment von Krimis zur Landes-, Regional- und Kreisliga unter den Neuerscheinungen. Ein Titel ist rätselhaft angesichts des Fotos auf dem Deckel: Frauenbein, rotes Kleid und roter Schuh. Birgit Hummler schreibt da über die Auto-, Zuliefer- und Rotlichtszene im Neckarraum. Ihr Krimi heißt: Dieselschwaden. Warum nicht gleich „Dieselschwaben“?

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident der Schwaben und Schwaden, ist angesichts der Dieselkrise mit einem programmatischen Buch vertreten, das am langen Stand von S. Fischer aus der Reihe der Neuerscheinungen heraussticht. Es ist liebevoll aufgemacht in seinem satt-samtigen Gebetsteppich-Grün und Mao-Bibel-Format. Der pastorale Titel: „Worauf wir uns verlassen wollen“.

Nanu, denkt man, bin ich dem Titel nicht eben erst begegnet? Genau, beim Herder-Verlag. Mit Margot Käßmann. Sie listet schön auf, woran man alles verzweifeln kann: am Glauben, an der Bibel, an der Kirche, an der Welt, am eigenen Leben. Die Landesregierung ist nicht im Angebot. Dabei ist Margot Käßmann, wie immer, groß auf der Titelseite zu sehen. Diesmal in grüner Jacke.